Die tollsten Alben ever: Gentle Giant: In A Glass House

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Moderator: King Heath

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Whistling Catfish
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Die tollsten Alben ever: Gentle Giant: In A Glass House

Beitrag von Whistling Catfish »

Willkommen zur ersten Folge der beliebten Reihe „Die tollsten Alben aller Zeiten“ in der wir alle die Alben der werten Leserschaft vorstellen können und sollen, von denen wir glauben, daß sie zu den – SURPRISE – tollsten (non-Tull) Alben aller Zeiten gehören.

Ist nur so eine Idee von mir, da ich persönlich so etwas immer gerne lese!

Und ich will dann auch gleich mal den Anfang machen mit dem m. E. tollsten Prog Rock Album aller Zeiten von einer meiner liebsten Bands des Genres, ja ich würde soweit gehen zu sagen von der Mutter aller Prog Rock Bands:

GENTLE GIANT – IN A GLASS HOUSE

“In A Glass House” war das 5. Album der legendären Gentle Giant und gleichzeitig das wohl komplexeste und sperrigste Album dieser auf dem ersten Hören ohnehin nicht gerade leicht verdaulichen (aber einfach zauberhaften) Band. In Europa erschien „In A Glass House“ im Jahr 1973 – und schon damals war der amerikanischen Plattenfirma dieses komplexe, aber wirklich wunderbare Werk zu unkommerziell, sodaß sie in America von einer Veröffentlichung gänzlich absah! Ein Frevel und womöglich sogar ein großer wirtschaftlicher Fehler, denn schließlich waren im Jahr 1973 in den US of A komplexe, progressive Alben mit einigem Werbeaufwand durchaus verkäuflich, wie denn der kurzzeitige Charttopper des Jahres „A Passion Play“ von einer anderen britischen Band dieser Zeit eindrucksvoll bewies!

„In A Glass House“ war wie bereits erwähnt das 5. Album von Gentle Giant und gleichzeitig das erste nach dem Ausstieg von Phil Shulman, der auf den vorhergehenden Alben (Gentle Giant 1970, Aquiring The Taste, 1971, Three Friends, 1972, Octopus, 1972) einen maßgeblichen Einfluss auf die durchweg überaus komplexen Kompositionen ausübte. Die Besetzung auf „In A Glass House“ setzte sich wie folgt zusammen:

Derek Shulman – Vocals, alto and soprano sax, recorder
Ray Shulman – Bass guitar, violin, acoustic guitar, percussion and backing vocals
Gary Green – 6 & 12 string guitars, mandolin, percussion and alto recorder
Kerry Minnear – All keyboards, tuned percussions, recorder and vocals
John “Pugwash” Weathers – Drums and percussion

“In A Glass House” vereint alle die Gentle Giant Trademarks der ersten vier Alben mit einem etwas mehr „hard edged“ Rock’n’Roll Sound. Die Produktion klingt auch heute noch absolut frisch und zeitgemäß und das komplexe, vornehmlich kontrapunktische Songwriting – oder im Falle von Gentle Giant spricht man wohl besser von Songkonstruktion ist atemberaubend!

Der Opener „The Runaway“ nimmt streckenweise bereits Elemente der New Wave vorweg, „An Inmates Lullaby“ ist albtraumhaft und gleichzeitig befreit und einfach clever aufgebaut und die einfach zauberhaft schöne und nichts destotrotz komplexe Ballade „A Reunion“ bildet einen ruhenden Pol zwischen all dem Progressive Mayhem wie ihn bis heute nur Gentle Giant so schön abfeuern konnten.

In schönster früher GG Tradition switched die Band innerhalb der Songs time signatures, Stimmungen, Arrangements und überfordert den Ersthörer fast. Doch wenn man diesem Album eine zweite, dritte und zwölfte Chance gibt, eröffnen sich dem geneigten Prog Liebhaber immer wieder neue Nuancen! Für jeden der A Passion Play liebt – King Crimson mag und Gentle Giant ggf. noch nicht kennt ein absolutes MUST HAVE! Die Mutter aller Prog Rock Alben bis heute und bis in alle Zeit! (Btw. im Vergleich zu „In A Glass House“ klingt „A Passion Play“ fast mainstreamig).

Das Titelstück mit schafft in seinen schlappen 7 Minuten so viele Stile, Takt- und Stimmungswechsel, wie es andere Proggies in ihrer ganzen Karriere nicht hinbekommen!

Forget about Yes, Genesis and King Crimson! Here's the Giant! A Gentle Giant..... :wink:

Definitiv ein Album für die einsame Insel….wie die ersten 4 und das Nachfolgealbum bis einschließlich "Interview" im übrigen auch…und der ganze Tull Backkatalog und….ähhhhhhhh……es muss schon ne große Insel sein für mich…;-)

Noch eine kleine Hörprobe: The Runaway – Live:

http://www.youtube.com/watch?v=6Dpk0dB1 ... re=related

Dieser YouTube Clip ist schon ganz geil, kann aber die Größe des Studiocuts nur bedingt wiedergeben!

Es grüßt als bekennender Gentle Giant Fan,
J.

PS: Keyboarder Kerry Minnear war im übrigen lt. IA in der engeren Auswahl für Tull 1980!

PPS: Fühlt Euch frei hier die tollsten (non Tull) Alben aller Zeiten vorzustellen……
I wish I was a Catfish, swimmin' in the deep blue sea....
Wotan
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Gentle Giant

Beitrag von Wotan »

In der Tat Katzenfisch. GG - eine der besten Bands überhaupt.
Habe ich einmal live in Gütersloh erlebt. Für mich wars musikalisch vom allerfeinsten.
Nur, es war halt nix für breite Bevölkerungsschichten.
Wenn zu Hause Party war und keiner von den Gästen wollte so recht nach Hause, habe ich zum Finale immer Gentle Giant aufgelegt.
Ratz - Fatz war die Bude leer.
Kerry Minnaer wäre sicherlich der "richtige" Keyborder bei den Tulls gewesen.
Hast du einen Schimmer was die Männer heute so machen?

Wotan
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Ulla
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Re: Gentle Giant

Beitrag von Ulla »

Wotan hat geschrieben: Hast du einen Schimmer was die Männer heute so machen?

Wotan
Pugwash haben wir letztes Jahr bei der italienischen Convention kennengelernt, wo er mit Wild Turkey auftrat. Leider ist der Mann schwer krank. Er hat Arthritis und kann nicht mehr trommeln, ja kaum noch gehen. Deshalb bediente er nur die Percussion. Ein sehr netter und witziger Mann übrigens.
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Whistling Catfish
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Beitrag von Whistling Catfish »

Kerry Minnaer wäre sicherlich der "richtige" Keyborder bei den Tulls gewesen.
Hast du einen Schimmer was die Männer heute so machen?
Derek war lange Jahre der Chef von ATCO (später "east west") Records - also einer der schlimmen Industrievertreter, die nur kommerziellen Mist promoten....kein Scheiß! Eine Glanztat hat er dann allerdings doch vollbracht, als er Dream Theater damals bei ATCO zeichnete.

In Interviews wurde er oft gefragt, warum er als alter Proggie denn vorwiegend nur mainstreamiger Musik auf dem Major eine Chance gibt. Seine Antwort war ehrlich und offen: "This has nothing to do with taste or music itself! I simply have a business to run and 75 people waiting for their paycheck every second Friday!"

Naja, ich will's ihm nicht verübeln.

Ray Shulman arbeitet heute als Produzent (u. a. Sugarcubes) und schreibt Musik fürs Fersehen, die Werbung und Computergames.

Kerry ist noch aktiv in der Vermarktung der GG Dinge und schreibt ebenfalls fürs Fersehen. Im übrigen glaube ich nicht, daß das auf Dauer gut gegangen wäre mit Tull, weil Kerry zwar ein bescheidener und zurückhaltender Typ ist, der aber durchaus Songwriterambitionen hat! Und sowas funktionierte in Tull noch nie und das auch aus gutem Grund. Aber als Gast für eine Tour wie der Jobson damals wäre das sicherlich klasse geworden!

Pugwash hat Ulla ja schon beschrieben. Das werde ich der guten Ulla auch niemals vergessen, daß sie mir den Pugwash seinerzeit vorgestellt hat. Näher komme ich nie wieder an Gentle Giant heran, leider! War eine sehr interessante Unterhaltung mit dem leider wirklich schwer kranken John P. Weathers!

Ich hab keine Ahnung was Gary Green heute macht !

Hier noch ein Interview, welches IA 1995 dem GG Fanzine "On Reflection" gegeben hat:

Interview by Arlo West, Maine - July 1995:
Ian Anderson is currently on tour supporting his wonderful new solo album and I caught up to him in Boston Massachusetts at the Orpheum Theater on June 1st 1995. His newest solo effort is an extreme departure from the Tull arena yet strikingly Tullish in it's Ian'esqueness. In other words it's everything the true Anderson fan could hope for and more. It's now 12:33 am the night before the Divinities show and I am using my computer to type up this quick interview and thinking how incredible these things ( computers ) are really. After all it was my computer which proved that there is still a lot of devoted Gentle Giant fans out there (considering their demise in 81 ) in cyber space and most are also big Tull fans as well. It may seem odd that anyone would want to interview a modern day minstrel such as Ian about a band that doesn't exist any more except in the fond memories and dusty record collections of its devoted fans. But that is the essence of it all there music seems to (if I may borrow a phrase from Ian) have a "timeless quality".

AW: Ian in 71 Gentle Giant went on tour with Tull do you remember them?

IA: Yes, I remember Gentle Giant well and still own many of their records.

AW: Their music is described frequently as being quirky, complex, and hauntingly beautiful, does this in anyway rekindle your recollection of them?

IA: My recollection places them in the "research and adventure" category and, at their best, they found exactly what they were looking for!

AW: Do you own any of there CD's? If so which is your favorite?

IA: I own no CD's of Gentle Giant, only original vinyl copies and somewhere I think there is even a single of "Kites" by Simon Dupree. A "Pictures of Matchstick Men" -like moment which some devotees might wish to forget.

AW: Kerry Minnear the Keyboard player would have made a great member of Tull were there ever any thoughts of hiring him when you were looking?

IA: Yes, we considered contacting Kerry but were told that he had, more or less, given up thoughts of music as a full-time profession along with Gary Green. I am not sure if this information was entirely accurate, but that's what we heard at the time.

AW: Did you know that in the fanzine "Proclamation" which is about G.G. Derek Shulman the lead vocalist listed Aqualung as one of his most liked albums and Gary Green the guitarist lists you personally as one of his favorite songwriters, and also in a "Proclamation" poll of G.G. fans Jethro Tull was voted #1 band in best other groups category?

IA: No I didn't know about the comments in the fanzine "Proclamation", but I am sure the mutual respect of the members of both bands would rank high.

AW: I have heard some traces of Tull in Gentle Giant but its seems to be a subtle interplay and not a blatant plagiarism. Does it feel strange to know that Tull and Gentle Giant seem to attract the same audience and share some similarities?

IA: Many of the influences common to Jethro Tull and Gentle Giant will have come to bear at around the same time in our separate musical developments and there is bound to be some similarity here and there in our musical styles and phrasings as well as attention to detail and the concern to improve as musicians.

AW: Can you share a moment or highlight that you would remember about Gentle Giant from the 71 tour?

IA: I have never heard a band scream, shout, rant and rave each other on an almost nightly basis as soon as they return to there dressing room. In this respect they did not give the impression of being happy bunnies.

AW: Would you have thought in 1971 that both Tull and Gentle Giant music would be so incredibly important to people and that the computer would play such a big part in the transfer of information about the bands to the extent that it has?

IA: No, I would not have anticipated the ongoing reverence for such bands especially in the light of technological communication, but I guess you also find gun collectors and paedophiles on the internet if you look hard enough. I think, on balance, I would rather discuss and/or reminisce regarding Gentle Giant over a civilised glass or two at a cocktail party rather than journey in disembodied trance through the mysterious world of, as you put it, Cyber space. However, each to there own.

AW: I find myself listening to Tull and Gentle Giant all year round but they seem to take on a special feel in the Fall. Do you find this to be a mere coincidence or is it that the music takes on a magical almost mystical quality during that time of the year?

IA: I do not understand this question. Is this when the Magic Mushrooms ripen!

AW: In the last years of Gentle Giants existence they put forth a couple of albums which were considered to be pop or commercial oriented that were heavily criticized by the progressive rock crowd. And I have myself got into a few heated discussions with folks about the reasons a band does this. Having been accused of this yourself do you have a few words of advice to these armchair critics who only see one side of a band and are not receptive to change?

IA: I remember a great deal of pressure on the part of Chrysalis Records and there management being exerted on Gentle Giant at the time to attain a more commercial level of success. I suspect some return on investment was required by record company and management alike and I would guess that at least some of the band would have really liked to enjoy the tangible benefits accruing to such a move for having struggled for so many years to support themselves as musicians. Personally, I believe their finest song to have been "Turning Around" from the final part of their career embracing as it does, all the legacy of their musicianship and eclectic interests together with a direct and relatively simple approach.

P.S. I did actually call Derek Shulman with regard to a possible reformation of Gentle Giant with a view to playing a few concerts together with Tull. As I expected, he did not think that it would be possible but, as I equally expected he was very, very pleased to be asked. I am sure all the boys from Gentle Giant are most flattered of the longstanding interest and affection demonstrated by their numerous fans in many countries. I am happy for them.

Yours sincerely, Ian Anderson


AW: Well that's it for now Ian thank you for your thoughts and time and good luck on the Divinities tour. We all will look forward to hearing the new Tull CD which is being released this fall!

This interview that I conducted with Ian was done in a rather strange way. I first typed up the questionnaire and brought it to the Divinities show thinking I may not be allowed a person to person interview as I was afforded in 1991. This was the case and upon entering the backstage area and meeting briefly with Kenny Wiley I was assured that Ian would receive the script. I enclosed the questions in a self addressed envelope and awaited it's return not knowing if there would be a response or not. There was today! I also would like to thank Glen and Laura Gamarat, Ralph Thompson, Kenny Wiley, Lou Maurice and especially Ian's assistant Heather Bunting.

Thank you very much Ian for taking the time.

Your friend in Maine,
In my own funny ways,
J.
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Wotan
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GG

Beitrag von Wotan »

Danke für eure Informationen.
So ist das mit den Kreativen. Zusammen können die eben nicht.
Ich habe damals einige Tull Konzerte mit Eddy Jobson erlebt. Sicher wäre Kerry Minnaer eine gute - bessere - Alternative zu Jobson gewesen. Irgendwie hat er nicht zu Tull gepasst.
Das lag m.E. nach aber weniger an Jobson.
Was Derek angeht. Kann man ihms verübeln?
Den Aufwand den GG seinerzeit Live betrieben hat, war schon der absolute Wahnsinn und stand irgendwie nicht im rechten Verhältnis zum Erfolg.
Richtig große Locations haben die nicht voll bekommen. Im Gegensatz zu Yes, Genesis und anderen.
Nun ja, gut das es die Konserven gibt.

Wotan
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John Wayne
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Beitrag von John Wayne »

Das mit Gentle Giant erachte ich für mich mal als wertvollen Tipp, da ich Prog eigentlich sehr mag, aber es sich bei mir auf die alten Marillion, die alten Genesis und IQ beschränkte. Aber nu´hat der Jörg ja auch nach anderen Platten gefragt. Ich will es mit meinem Werk aber nicht gar so ausführlich machen, aber Kunstwerke muss man der geneigten Leserschaft vorstellen. Das Ding geht jetzt an die Blueser unter uns, wie ich einer bin.

2005 veröffentlichte Chris Rea (jawohl, der) ein Earbook namens Blue Guitar. Er hatte im Verlaufe mal eben 137 neue Songs komponiert und auf 11 CD´s gleichzeitig veröffentlicht, die in einem wunderschönen Buch zusammengefasst sind. Es ist für relativ kleines Geld bei Amazon zu haben. Es ist ein zeitloses Meisterwerk. Alle, die Chris Rea vor seiner Erkrankung kennen, vergesst es, diesen Chris Rea wird es nicht mehr geben. Ich habe mich bei Amazon zu einer Rezension hinreißen lassen, die ich Euch hier rein kopiere, quasi ein Selbstzitat

Gruß Nils

Mir fallen einfach nicht genug Superlative ein, um dieses Lebenswerk künstlerischen Schaffens auch nur annähernd zu würdigen. Vor dem Hintergrund jeglichen Castingschrotts, Musikproduzentengehabes, die meinen etwas von Musik zu verstehen (und sich in entsprechenden Jurys vermarkten) und armen Sternchen, die sich wegen der Aussicht auf Ruhm völlig schmerzfrei ausbeuten lassen ist dieses 11 CD (plus Bonus-DVD) Earbook ein in der heutigen Zeit kaum für möglich gehaltenes Kunstwerk. Auch in zwanzig Jahren wird niemand auf das Jahr der Veröffentlichung schauen, weil diesem Werk eine Aura des Zeitlosen und des Ewigen umgibt, etwas, was nur ganz wenige Alben wie z.B. Thick as a Brick haben. Und hier veröffentlicht Chris Rea gleich 11 Stück davon!!!! Nun ist es nicht so, dass ich Chris Rea vorher nicht gemocht hätte --- im Gegenteil. Ich empfand Dancin with Strangers, The Road to Hell und mit Abstrichen auch noch Auberge und the Blue Cafe als tolle Alben. Aber dann kam ja der inzwischen hinlänglich bekannte Einschnitt in Reas Leben, der jetzt dafür sorgt, dass er ausufernde Touren auf Anraten der Ärzte schweren Herzens meiden muss. Chris Rea überlebte eine schwere Bauchspeicheldrüsenerkrankung. Die Vorstellung,als er im Krankenhaus lag, dass er seiner Tochter die Frage nach dem besten Album nicht beantworten zu können, befreite ihn von allen Zugeständnissen an Plattenfirmen, Konventionen und Bedenken. Dass er die Blue Guitars selber finanziert hat, entzieht sich meiner Kenntnis, würde aber zu den aktuellen Mechanismen des Musikbusiness passen. Nach Überwindung seiner Krankheit lieferte er mit Stony Road einen ersten Vorgeschmack, eine reine Bluesscheibe, manchmal ein bisschen sperrig, aber frei von jedem Gedanken an Kommerz. Aber hier war schon irgendwie klar, den Driving home for Christmas- Rea wird es wohl nicht mehr geben. Als ich dann von seinem Vorhaben mit den Blue Guitars las, war ich Feuer und Flamme. Für die Entwicklung meines Geschmacks muss ich voranstellen, dass sich meine Liebe zum Blues auch erst mit zunehmendem Alter entwickelt hat (aktuell habe ich die 42 erreicht). Ich bekam das Earbook von meiner Frau zum Geburtstag und habe bis heute versucht, mich eingehend damit zu beschäftigen. Und eines lässt sich schon jetzt sagen, viele Songs erschließen sich nicht sofort, aber dann umso nachhaltiger, man entdeckt immer wieder Neues, man hört richtig die Spielfreude der Musiker. Zu den einzelnen Alben sagt Chris Rea selbst, dass er keinen erzieherischen Anspruch zu den einzelnen Bluesstilen hatte. Das mag sein, aber man erfährt trotzdem eine Menge. Album One, the Beginnings ist vor allen Dingen textlich eine Besinnung auf die ursprünglich Wurzeln des Blues in West Africa. Sound- und Songmäßig hier eher nicht, sondern es sind ganz modern und stark komponierte Songs. Anpieltipps West Africa/Cry For Home, wegen des Übergangs ist das für mich ein Song, White Man coming, Where the Blues Come from, Sing out the Devil. Mit Album two, Country Blues hatte ich mich anfangs etwas schwerer getan, erst einer der späteren Durchläufe ließ diese Songs wirklich bei mir landen. Hier besinnt sich Chris Rea auf traditionelle Intrumente wie akustische Gitarren und Banjos. Dieses zweite Album muss man ganz auf sich wirken lassen. Der zuerst aufkommende langsame Eindruck trügt, da ist ganz schön Power drin. Album three, Lousianna & New Orleans, fällt durch das Stilmittel auf, das die meisten Songs beginnen, als wenn ein Tonarm auf die Vinylscheibe gelegt wird. Die ersten drei Songs klingen auch durchgängig sondmäßig aus dieser traditionellen Zeit, mit dem 4. Song sind die Aufnahmen aber wieder sehr modern. Anspieltipps sind You Got Dixie und One Night with you. Album Four Electric Memphis Blues sprach beim ersten Hören mich und meine Rockerseele ziemlich schnell an, auch ein sehr nachhaltiges Album mit ganz starken Stücken, Anspieltipp Electric Guitar und danach lässt man dieses Album sowie so weiter laufen. Hier findet man auch Elemente früheren Schaffens, wohl von allem Kommerz befreit auf den Blues beschränkt. Bei Album Five, Texas Blues, lernt man die Wuzeln von ZZ Top kennen, auch ein Album, was man durchlaufen lässt. Zu Album six, Chicago Blues fällt mir nur ein Kommentar ein: Cool!!!! Jazzige Elemente, auch hier wieder auf Vinylstil zurückgreifend, auch ein Album ohne Anspieltipps, einfach durchlaufen lassen. Album seven, die Blues Ballads, ist jenes, welchem ich als Einzelscheibe einen Stern abziehen würde, vielleicht ist mir der Rythmus zu langsam, zu gehaucht, ich weiß es nicht, aber bei 11 CDs darf das mal sein. Album Eight, Gospel & Motown, ist wieder ganz stark, schon verweisend auf die für den Blues etwas moderneren Zeiten, d.h. Rythmus und Instrumentierung nicht mehr so ganz traditionell. Anspieltipp ist Ball&Chain, Let me in und Are you ready. Eine meiner Lieblingplatten ist Album nine, Celtic & Irish Blues, wo man als Hörer so ein kleines Deja-Vu hat. Das Opening-Instrumental erinnert stark an Nothing to Fear, eines der wirklich guten Stücke aus der alten Ära. Derer Hinweise findet man mehr, genau hinhören ist hier angesagt. Album nine ist wieder durchgängig genial, doch möchte ich jedem Too far from Home ans Herz legen. Album ten, Latin Blues, muss ich gestehen, habe ich noch nicht so oft gehört, hat vom Sound und zweimaligem Durchlauf aber einen guten Eindruck hinterlassen. Das das gesamte Werk noch mit einem Riesenabschluss gerundet wird, hätte ich selbst nicht gedacht. Nachdem ich bis Album nine so alles in mich aufgenommen hatte, dachte ich, das kann ja eigentlich nicht mehr viel kommen. So muss ich zu meiner Schande gestehen, mit Album 11 bis zum Schluss gewartet zu haben. Und dieses Album ist mit das Stärkste deser 11!! Man hört richtig alle Einflüsse, denen Chris Rea in jungen Jahren unterworfen war und hat hier noch ein paa richtig geile Songs geschrieben. Ein Album, welches mehrere Durchläufe hintereinander verträgt. Die Bonus - DVD ist ein Dreingabe von der Stony Road und hat daher nur mittelbar mit diesen 11 Cds zu tun. Alles in allem ziehe ich meinen Hut vor Chris Rea und kann mich nur bedanken, dass er es selbst in die Hand genommen hat. Wäre die Plattenfirma überzeugt gewesen, hätten wir vermutlich eine ganz andere Veröffentlichungsstragie erleben müssen. Man stelle sich nur vor Robbie Williams, Madonna oder wer was weiß ich noch wäre plötzlich kreativ geworden, die Plattenfirmen hätten alles an sich gezogen und das Ganze in Einzelscheiben über die Jahre verkauft (mit entsprechender Werbung versteht sich). Ein solches Werk wie die Blue Guitars erhalten wir nur, wenn echte Musiker allein verantwortlich bleiben. Ich wage zu prognostizieren, dass diese Leistung einmalig bleiben wird.
Manchmal gibt es Dinge, wo ein Mann tut, was ein Mann eben tun muss!
Moth
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Rea

Beitrag von Moth »

Aber in dem Zusammenhang ist nicht nur das 11er Boxset zu erwaehnen, sondern auch die beiden Vorlaeufer : The Stony Road und Blue Jukebox.(so heisst das Album glaube ich)
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John Wayne
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Re: Rea

Beitrag von John Wayne »

Moth hat geschrieben:Aber in dem Zusammenhang ist nicht nur das 11er Boxset zu erwaehnen, sondern auch die beiden Vorlaeufer : The Stony Road und Blue Jukebox.(so heisst das Album glaube ich)

Völlig richtig, alle beide. Aber das Kunstwerk war dann Blue Guitars. Das hat mich richtig umgehauen.

Grüße Nils
Manchmal gibt es Dinge, wo ein Mann tut, was ein Mann eben tun muss!
King Heath
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Beitrag von King Heath »

Vor ungefähr drei Jahren habe ich ein Interview mit Rea auf Radio 4 gehört. die 12-CD-Box sollte sein Abschiedsgeschenk sein. Er hatte schwer die Schnauze voll, weil er mit dem Kreativvirus infiziert ist. Rea hat ausführlich beschrieben, wie nervig er diesen ständigen Schaffensdrang findet und hatte wohl mit Malerei versucht, dem zu entkommen. Jedenfalls sollte die Box sein letztes Werk und die dazugehörige Tour die letzte werden.

Offensichtlich hat er den Absprung nicht geschafft:

http://www.bbc.co.uk/radio2/shows/mayo/

Ich habe das Interview noch nicht gehört. Mir fällt dazu aber eine schöne Geschichte ein, die Rea vor ein paar Jahren mal erzählt hat:

Er war auf dem Rückflug aus Asien nach London und kurz vor Heathrow fragte ihn die Stewardess, ob er nicht Lust hätte, das Cockpit zu besuchen (war wohl vor dem 11. September 2001), der Flugkapitän sei ein großer Fan von ihm.

Natürlich hatte er Lust und durfte die 747 sogar fliegen (also vermutlich ein paar Knöpfe drücken oder so). Kurz vor der Landung bat ihn dann der Kapitän, sich doch wieder an seinen Platz zu begeben, weil Passagiere während der Landung im Cockpit nicht erlaubt seien. Bevor er ging, fragte ihn der Kapitän aber noch, ob er "Lady in Red" tatsächlich für seine Frau geschrieben habe.

Rea hat ja gesagt.

Höhö!

KH
Whistling Catfish
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Beitrag von Whistling Catfish »

John Wayne hat geschrieben:Das mit Gentle Giant erachte ich für mich mal als wertvollen Tipp, da ich Prog eigentlich sehr mag, aber es sich bei mir auf die alten Marillion, die alten Genesis und IQ beschränkte.
Hi Marshall :wink: ,

also wenn Du die alten Marillion und Genesis magst, ist "In A Glass House" als Einstieg in Gentle Giant vielleicht etwas zu sperrig. Ein schönes Einstiegsalbum ist eigentlich auch "The Missing Piece", welches das vor-vorletzte (und letzte wirklich gute) Album von GG ist! Schon ein wenig poppiger und weniger experimentell aber durchweg gut hörbar...

Auch geeignet für den Einstieg sind allerdings auch die frühen wie z. B. "Aquiring The Taste" - vielleicht ist der Name hier Programm.... :lol:

Viele Grüße,
J.
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