Bob Dylan in Hamburg

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Marengo
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Bob Dylan in Hamburg

Beitrag von Marengo »

Moinsen! What a simple twist of fate... Aufgrund meiner Recherche nach einem wunderbaren Mastertape von der Krest of a Knave Tour aus Den Haag habe ich einen guten "alten" Freund, mit dem ich während meiner Stundentenjahre in Münster viel zusammen gehockt habe (Musik hören, vor allem aber gemeinsame Konzertbesuche) wiedergetroffen, und es hat Zoom gemacht. CK überraschte mich bei seinem Besuch nicht nur mit den Tull-Cassetten, sondern hat mir gleich noch ein Ticket für Bob Dylan in Hamburg geschenkt, da er selbst durch eine Neil Young Show am selben Abend in Mannheim verhindert war. Ich Ignorant wollte erst gar nicht, habe dann aber nach einer kurzen Bedenkzeit doch zugesagt. Was schert mich mein dummes Geschwätz von gestern. Also ging's letzten Freitag nach HH in die riesige Barclaycard Arena im Volkspark. Für mich das erste Mal seit vielen Jahren, dass ich einem sog. Arena Gig beiwohnen würde. Da die Barclaycard Arena auf ihrer Homepage darauf hinweist, dass Einlasskontrollen u.a. mittels Metaldetektoren durchgeführt werden, blieb mein guter alter Tascam zuhause. Leider, denn ich wurde gar nicht bodygecheckt. Die Menschen strömten, erst spärlich, dann immer zahlreicher durch die Schleusen und lt. Hamburger Abendblatt waren dann so etwa 7000 Besucher zugegen, als das Konzert pünktlich um 20:00 Uhr anfing. Ich hatte Bob Dylan zuvor lediglich zweimal gesehen, 1987 auf der Temples in Flames Tour in Dortmund mit Tom Petty und 1996 als Support für Neil Young in Hamburg auf der Trabrennbahn. Ich bin mit dem, was er in den letzten 30 Jahren gemacht hat, überhaupt nicht vertraut und habe nur in den Medien die teils recht kontroversen Kritiken speziell über seine Konzerte verfolgt. Auch bei Bob Dylan gibt es ja eine Stimm-Diskussion, die uns nur allzu vertraut ist.

Die Bühne war mit einem halbrunden konkaven Vorhang dekoriert, ca. 10 riesige Kino- oder Industriescheinwerfer hingen von der Decke, an Lichtfarben gab es nur weiss in all seinen Variationen, mal klar, mal gelblich. Sehr minimalistisch und damit auch sehr wirkungsvoll. Das Konzert ging los mit Things have Changed, It ain't me, Babe, wo zum ersten Mal die Wirkung der statischen Beleuchtung voll zum Tragen kam, Highway 61 Revisited und Simple Twist of Fate. Die Stücke waren generell Neuschöpfungen mit völlig veränderten Arrangements und Melodiebögen. Viele werfen Dylan vor, dass er hinter seinem Klavier nicht wiederzuerkennen sei, aber das ist das Geheimnis seiner Kunst. Ich habe mich schon anno 87 in Dortmund gewundert, dass nichts so wie auf Platte gespielt wurde. Das ist m.E. immer die Essenz eines Bob Dylan gewesen. Ich möchte jetzt nicht die Sellist runterbeten,

http://www.bobdylan.com/date/2019-07-05 ... g-germany/

sondern meinen Gesamteindruck des Konzerts schildern. Für mich war Dylan immer eher ein Lebensgefühl denn ein Musiker. Mir reichten früher Stücke wie Hurricane als Statement gegen ein gottverlassenes rassistisches Land oder Senor in seiner unglaublichen (textlichen) Vielschichtigkeit, was ich bis heute für eines der größten Stücke von Dylan halte. Er war in meinen Augen und Ohren auch nie ein "richtiger" Sänger, wohl aber ein Meister der Phrasierung. Und natürlich ein Meister der Poesie, eines Walt Whitman würdig, der mit unterbewußt einen Sinn für Metaphern und die archaische Schönheit des amerikanischen Englisch beigebracht hat. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Dylans Stimme ist brüchig, aber erstaunlich durchsetzungsstark. Kein Vergleich mit IA. Bob Dylan ist wie eh und je in der Lage, mit seinem näselnden und knurrenden "Gesang" alle Emotionen von Wut über Melancholie, Trauer und gehöriger Ironie zu transportieren. Deshalb ist er für mich immer noch ein ganz Grosser und ich gebe gerne zu, dass ich so manches Mal eine Gänsehaut bekommen habe. Herausragend unter allen niveauvollen Darbietungen vielleich Scarlet Town. Die Band war klasse, routiniert, aber nicht gelangweilt, was auch schlecht wäre. Es bedarf schon absoluter Aufmerksamkeit, um Dylans Rekonstruktionen zu begeiten. Selbst der Sound war -ich saß recht weit vorne- mehr als OK. Long talk short sense: Hörens- und sehenswert, definitiv nicht aus nostalgischen Gründen oder "nur", um einen Nobelpreisträger livehaftig zu sehen. Señor als eine Art Selbstbildnis:

Señor, señor, let’s disconnect these cables
Overturn these tables
This place don’t make sense to me no more
Can you tell me what we’re waiting for, señor?
Whistling Catfish
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Re: Bob Dylan in Hamburg

Beitrag von Whistling Catfish »

Vielen Dank für den Bericht, Marengo. Ich selber habe Bob Dylan leider noch nie live erlebt - aber ich musste neulich über diese Headline schmunzeln:

https://www.livemint.com/mint-lounge/fe ... sphOr7IQRw
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HansJuergen
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Re: Bob Dylan in Hamburg

Beitrag von HansJuergen »

Ich kann Deinen Eindruck, Marengo, vom aktuellen Dylan nur bestätigen! Ich habe ihn Anfang April in Würzburg gehört, hatte ihn zuvor nie live erlebt und war hin und weg! Seine Stimme ist wunderbar, kein Vergleich zu der von unserem Flötenartisten. Es war ein Abend, den ich nie vergessen werde - der Flötenmeister muss sich im November in Frankfurt als Weihnachtsmann ganz schön anstrengen, wenn er da herankommen will. Hier der damalige Bericht aus unserer Lokalzeitung:
"Punkt 20 Uhr erlischt die Hallenbeleuchtung in der Würzburger s.Oliver Arena; es erklingen Fanfarentöne, die an Abenteuerfilme mit strahlenden Helden erinnern. Dazu tänzelt Bob Dylan auf die Bühne. Am Klavier stehend, dem Publikum zugewandt, begleitet von seiner vierköpfigen Band, spielt er "Things Have Changed", den Song, der ihm 2001 den Oscar einbrachte. Dylan versteht sich auf programmatischen Subtext. Dieser Auftritt, mit Glitter am Anzug, sagt: Ich bin gut drauf, ich bin heute gut gelaunt.
Und tatsächlich begibt sich Dylan in den nächsten rund 100 Minuten auf eine Abenteuerreise durch sein Programm. Wie ein Vierjähriger mit bunten Bauklötzchen spielt der 77-Jährige mit den Songs seines umfangreichen Backkatalogs. Er nimmt sie auseinander und setzt sie neu zusammen. Und während das im Mai 2018 in Nürnberg nach Werkstattarbeit klang und durchaus düstere Töne hervorbrachte, dominiert im April 2019 der Spaß am Spiel.
Bei "Highway 61 Revisited" steht diesmal der treibende Beat im Vordergrund, nicht der Auftrag des zornigen Gotts an Abraham, seinen Sohn zu opfern. "Simple Twist Of Fate" ist am Dienstag kein Klagelied auf die Wendungen des Schicksals, eher der Song eines Mannes, der gelernt hat, den Dingen mit Gelassenheit zu begegnen. Selbst "Pay In Blood" mit Zeilen wie "ich zahle mit Blut, aber nicht meinem eigenen" kommt fast heiter rüber.
Weil Dylan sich nicht erklärt, kein einziges Wort ans Publikum richtet, bleibt dem Zuhörer nur die Interpretation. Der Mann aus Minnesota versteht es, in seinem vielschichtigen Werk genau jene Nuancen zu betonen, nach denen ihm der Sinn steht. Und was früher rätselhaft wirkte, wo die Werk-Exegeten einst tief und ergebnislos schürften, das erklärt sich heute mit dem hintersinnigen Humor, den Dylan in seiner von 2006 bis 2009 laufenden Radiosendung offenbarte. Glitzer am Anzug, den trägt der Meister nur mit einem Augenzwinkern.
Mit diesem Spieltrieb und Witz bearbeitet er seine Songs, stellt sie auf den Kopf. "When I Paint My Masterpiece", in der Originalaufnahme ein beschwingtes Stück, präsentiert er als Ballade. "Like A Rolling Stone", in der Mitte des Sets platziert, beginnt flott, ehe Dylan die letzten Zeilen der Strophen dehnt und das Publikum auf den Chorus warten lässt. "How does it feel?" (Wie fühlt sich das an, wie findet Ihr das?) scheint er die Fans zu fragen.
Dabei unterstützt ihn seine exquisite Band mit Geschmack und Zurückhaltung. Drummer George Receli bietet Groove und Druck bei moderater Lautstärke. Nur beim letzten Song darf er sich mal austoben und das Drumsolo des Surf-Klassikers "Wipe-Out" zitieren. Bassist Tony Garnier begleitet Dylan nun schon seit 1989, keiner ist länger dabei. Donnie Herron setzt Akzente mit Banjo und Geige oder bindet den Sound mit sämiger Steelgitarre. Gitarrist Charlie Sexton versteht sich als Teamplayer und Zuarbeiter und ist trotzdem die zentrale Figur der Begleitmusiker.
Wenn zwischen den Songs das Licht erlischt, stecken Dylan und Sexton oft kurz die Köpfe zusammen, ehe sich aus dem Soundbrodeln die nächste Nummer herauskristallisiert. Kein Wunder, dass Dylan seinen Spaß hat mit dieser Band und diesen Songs, älteren und neueren, darunter gleich vier vom 2012er Album "Tempest". Die drei zuletzt veröffentlichten Werke mit Fremdmaterial, mit Stücken, die schon Sinatra gesungen hatte, ignoriert er.
Zum Abschluss gibt's nochmal Schmackes mit "You Gotta Serve Somebody". Danach tritt Bob Dylan in die Bühnenmitte, schaut ins Publikum und stemmt neckisch wie ein Laufstegmodel die Hand in die Hüfte – eine Art wortlose Verabschiedung. Freilich kommt er nochmal zurück für eine Walzerversion von "Blowin' In The Wind" sowie "It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry".
Würzburg hat einen aufgeräumten Bob Dylan erlebt. Auf einem Tischchen am Bühnenrand standen den ganzen Abend über seine Oscar-Trophäe und eine Büste – vermutlich ein Hinweis auf seinen Literaturnobelpreis, mit Augenzwinkern versteht sich."
Marengo
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Re: Bob Dylan in Hamburg

Beitrag von Marengo »

HansJuergen hat geschrieben: Di Jul 09, 2019 3:46 pm Es war ein Abend, den ich nie vergessen werde (...)
Better late than never. You're never too old for a magic gig! Und Bob Dylan ja auch nicht!
Whistling Catfish
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Re: Bob Dylan in Hamburg

Beitrag von Whistling Catfish »

Marengo hat geschrieben: Di Jul 09, 2019 5:09 pm Better late than never. You're never too old for a magic gig! Und Bob Dylan ja auch nicht!
Da ist wohl was dran! Ich hatte ja ein ganz ähnliches Erlebnis bei einem ganz anders geartetem Konzert eines anderen Weltstars vor ein paar Monaten!

Und um hier mal einen kurzen On Topic Drift hinzulegen: Während McCartney, Dylan und meinetwegen auch Daltrey und Townshend trotz aller dem Alter geschuldeten - bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger ausgeprägten - Limitationen noch immer irgendwie ihre alte Magie entfachen bzw. ihr altes Bühnen-Ich noch recht glaubhaft verkörpern können, ist IA mittlerweile soweit von seinem alten Bühnen-Ego entfernt, dass ich zuletzt echte Mühe hatte ihn überhaupt wiederzuerkennen - wenn ihr versteht wie ich das meine!
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Dietmar
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Re: Bob Dylan in Hamburg

Beitrag von Dietmar »

Woher willst Du wissen, ob ein McCartney noch seine "alte Magie" entfachen kann? Soweit ich mich erinnere, war das Dein erstes Konzert..... :wink:

Ich war Anfang Juni bei Lindenberg. Erstmals. War ein gelungener Abend, feine Show, der Mann volle 2 1/2 Stunden auf der Bühne. Da gab's nix zu meckern.

Aber irgendwelche Vergleiche mit Gäulen, die man (selbst) bereits zu Tode geritten hat, verbieten sich einfach. Auch ein Lindenberg hat sicherlich schon bessere Tage gesehen, und das wird bei den meisten anderen dieser Altersklasse ähnlich sein, lässt sich halt nicht vermeiden. Aber wenn man man es selbst noch nicht gesehen hat, dann ist die Wertschätzung wohl etwas anders.... :wink:
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Re: Bob Dylan in Hamburg

Beitrag von Whistling Catfish »

Dietmar hat geschrieben: Mi Jul 10, 2019 11:49 am Woher willst Du wissen, ob ein McCartney noch seine "alte Magie" entfachen kann? Soweit ich mich erinnere, war das Dein erstes Konzert..... :wink:

Ich war Anfang Juni bei Lindenberg. Erstmals. War ein gelungener Abend, feine Show, der Mann volle 2 1/2 Stunden auf der Bühne. Da gab's nix zu meckern.

Aber irgendwelche Vergleiche mit Gäulen, die man (selbst) bereits zu Tode geritten hat, verbieten sich einfach. Auch ein Lindenberg hat sicherlich schon bessere Tage gesehen, und das wird bei den meisten anderen dieser Altersklasse ähnlich sein, lässt sich halt nicht vermeiden. Aber wenn man man es selbst noch nicht gesehen hat, dann ist die Wertschätzung wohl etwas anders.... :wink:
Lieber Hauser,

ich glaube ich kann das recht gut für mich einschätzen!

Dein Kienzle.
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