Eingeschränktes Blöken

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Moderator: King Heath

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Marengo
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Eingeschränktes Blöken

Beitrag von Marengo »

Weil die Beschreibung so pointiert und auch wohl zutreffend ist, widme ich der nachfolgend verlinkten Kritik einmal eigenes Thema.


Zeltfestival Winterbach
Wiedersehen mit den Helden von damals

Von Ulrich Bauer

 24. Juli 2015 - 18:08 Uhr

Beim Zeltfestival in Winterbach sind Procol Harum und Ian Anderson aufgetreten – alte, aber (teilweise) immer noch quicklebendige Schlachtrösser des Classic Rock.


Winterbach - Es war eine „Classic Rock Night“ mit den Bands Procol Harum und Jethro Tull’s Ian Anderson angekündigt beim Winterbacher Zeltspektakel. Den Grandseigneur mit nur noch zu erahnendem grauem Schopf gab der seit rund fünfzig Jahren bei dieser Band tonangebende Gary Brooker. Aber keineswegs als etwas steif gewordener Opa. Der Mann strahlt auch im fortgeschrittenen Alter viel von der Vitalität aus, die aus dem Augenblick kommt. Nach einer zeitgenössisch klingenden Einleitung führte er oft im musikalischen Dialog mit dem sehr ausdrucksstarken Gitarristen Geoff Whitehorn durch das Repertoire. Geprägt war dieses von viel Humor und ironischer Distanz, von über­raschenden Taktwechseln und selten gehörten Akkordverbindungen. Die drei anderen Musiker an Orgel, Bass und Schlagzeug wirkten da manchmal nur wie kompetente Begleiter.

Natürlich bot die Band Hits wie „Homburger“, die immer noch eine spezielle Melancholie besitzen, zu der wohl auch Brookers Stimme mit ihrem ganz eigenen Timbre beiträgt, das so gar nichts vom oberflächlich grellen „Spaß haben“ hat. Brooker liebt die Vieldeutigkeiten, macht gern Andeutungen, spielt mit Bedeutungsebenen und verrennt sich auch schon mal in Reminiszenzen an Sam Cooke oder Aretha Franklin. Spaß an dem allen hatte ganz offensichtlich der Gitarrist Geoff Whitehorn, der sich dann aber auch auf einen sorgfältig formulierten Ausdruck mit intensiven Spannungsbögen konzentrieren konnte. „A salty Dog“ war da unter anderem zu hören, „Conquistador“ und natürlich „A whiter shade of pale“, ein Titel, über dessen Herkunft sich Brooker ausführlich lustig machte: Johann Sebastian Bach, natürlich, aber auch Percy Sledge und Bob Marley wurden von der Band da mit bekannten Titeln angespielt.

Grimassen und Getue

Einen nicht gar so überzeugenden Auftritt gab es danach mit Jethro Tull’s Ian Anderson. Der einst stelzbeinige Derwisch, dessen Stärke noch nie seine Stimme war, scheint inzwischen jede diesbezügliche Möglichkeit verloren zu haben. Da ist nur ein vom minimalen Stimmumfang eingeschränktes Blöken, dessen offenkundige Schwächen Anderson mit Grimassen und exzentrischem Getue auszugleichen versucht. Fast schon mitleiderregend.

Die fünfköpfige Band spielte in ver­änderter Besetzung, aber nach altbekannter Art ihre Hits wie etwa das frühe und ebenfalls stark von Bach beeinflusste „Bourrée“, „Living in the Past“, „Aqualung“ oder „Locomotive Breath“, gewürzt mit den Hampeleien des nicht mehr ganz so beweglichen Ian Anderson. Dieser konzentrierte sich instrumental weitgehend auf die Flöte. Trotz aller gitarristischen Bemühungen dürfte dies auch weiterhin sein Markenzeichen bleiben.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhal ... 1c49b.html

Ich habe den Auftritt in Winterbach, leider, ist man fast versucht zu schreiben, aber das wäre Geschichtsfälschung, auch so empfunden. Zur Ehrenrettung: Es war ein riesiges Zelt, in dem mir als Stehplatzzuschauer schon fast schummrig wurde. Aber als Entschuldigung soll und kann das nicht dienen. Dies sind die Art von (Festival-)Auftritten, die die Welt nicht braucht und mit denen IA langsam anfängt, sich zu demontieren. Und das nach den in meinen Augen und Ohren sehr überzeugenden Mai-Konzerten, gelle Carsten... Berlin war "knorke", aber noch nicht einmal der beste Gig der Mai-Tour.

Was in der Zeitung steht, habe ich vor dem Ansbach-Gig laut und deutlich gesagt, nicht wahr, Besi, und nach der Show ungläubige Kommentare geerntet. Denn Ansbach war...klasse, gerade stimmlich. Meine These ist ja schon seit langen, dass die gesanglichen Schwankungen, die bei Tull-Gigs immer deutlich zu beobachten waren, noch viel extremer geworden sind. Auch in der guten alten Zeit erinnere ich mich an extremes Licht und ebenso extreme Schatten binnen 24 Stunden. Einfallen würde mir spontan Bremen (Schatten) und Berlin (gleißendes Licht) anno 82. Auch Paris 75 ist -für Ian's damalige Möglichkeiten, zumindest bei einigen Tracks unter Potential. Schade nur für die vielen Besucher, denen lediglich ein Blöken kredenzt wurde, denen hilft meine Beobachtung nicht weiter.

Ich hoffe, die Rock Opera wird wieder gut...

Nachtrag Absage Ansbach:

"Blah, blah... And my name's Ian Anderson. And that was Jethro Tull."
folkfreak
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Re: Eingeschränktes Blöken

Beitrag von folkfreak »

Genau das habe ich schon in den 90ern empfunden und für mich hat er sich damals schon demontiert.
Schade schade...

Einem muss ich aber energisch wieder sprechen: "...dessen Stärke noch nie seine Stimme war..."
Ich kenne (ganz subjektiv) fast niemeanden, dessen Stimme mir so gut gefallen und die mir derart unter die Haut ging hat wie IA 1973-1984...
Vielleicht habe ich deshalb so große probleme damit.
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Birgit
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Re: Eingeschränktes Blöken

Beitrag von Birgit »

folkfreak hat geschrieben: Einem muss ich aber energisch wieder sprechen: "...dessen Stärke noch nie seine Stimme war..."
Ich kenne (ganz subjektiv) fast niemeanden, dessen Stimme mir so gut gefallen und die mir derart unter die Haut ging hat wie IA 1973-1984...
... könnte von mir sein
:-)
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Dietmar
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Re: Eingeschränktes Blöken

Beitrag von Dietmar »

Das "Review" verdeutlicht einfach nur einmal mehr, wie eminent wichtig ein echtest Showkonzept ist, um das, was heute noch musikalisch möglich ist (allzu viel ist das eben nicht mehr) in eine vernünftige Form zu bringen. Die eher wahllose Aneinanderreihung eines Greatest-Hits-Potpurris war schon vor knapp 20 Jahren nicht mehr allzu überzeugend. Warum sollte das heute anders sein.... :wink:

Sollte es diese "Rock Opera" auch auf hiesigen Bühnen geben (?), würde ich mir das gerne und mit dezent freudiger Erwartungshaltung anschauen.... :) .... wenn nicht, dann eben nicht.... :?
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Nightcap
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Re: Eingeschränktes Blöken

Beitrag von Nightcap »

folkfreak hat geschrieben:Einem muss ich aber energisch wieder sprechen: "...dessen Stärke noch nie seine Stimme war..."
Ich kenne (ganz subjektiv) fast niemeanden, dessen Stimme mir so gut gefallen und die mir derart unter die Haut ging hat wie IA 1973-1984...
Vielleicht habe ich deshalb so große probleme damit.
Volle Zustimmung, auch wenn man über die genauen Jahreszahlen diskutieren kann.
(Es gab auch noch Anfang der 90er - verglichen mit heute - erstaunlich gute Abende!)
Genauso geht es mir auch.
Danke auch an Marengo für den Bericht!
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Thomas
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Re: Eingeschränktes Blöken

Beitrag von Thomas »

Bei den Festivals spulen halt alle ihr Best Of-Programm ab.
Die einen besser, andere halt schlecht. Und das nächste Potpourri lässt ja auch nicht mehr lange auf sich warten.
Daran ändert auch ein an der Haaren herbei gezogenes "Konzept" nichts.

Was die Stimme angeht, kann ich mich nur anschließen.
Jack Green
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Re: Eingeschränktes Blöken

Beitrag von Jack Green »

Ich bin ja auch sehr gespannt, ob IA in den nächsten Jahren mal aufhört live zu singen, und wie sein musikalisches Schaffen aussieht, wenn er mal entschließt live gar nicht mehr zu musizieren. Mir fällt gerade ein, dass ja noch ein Streichquartett-Album offen ist. ^^
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Re: Eingeschränktes Blöken

Beitrag von Unisono »

folkfreak hat geschrieben:Ich kenne (ganz subjektiv) fast niemeanden, dessen Stimme mir so gut gefallen und die mir derart unter die Haut ging hat wie IA 1973-1984...
ich möchte hinzufügen, dass es mir bei den Studioaufnahmen auch heute oft noch so geht. Auf der Bühne natürlich nur noch sehr eingeschränkt.

Dennoch finde ich die Rede vom "Blöken" nicht gerade "pointiert". Auch Sätze wie "Der einst stelzbeinige Derwisch, dessen Stärke noch nie seine Stimme war, scheint inzwischen jede diesbezügliche Möglichkeit verloren zu haben" stilistisch reichlich daneben. Mit der Rede vom "ebenfalls stark von Bach beeinflussten Bourrée“ offenbart der Autor vollends seine diesbezügliche Ahnungslosigkeit.
Jack Green hat geschrieben:Mir fällt gerade ein, dass ja noch ein Streichquartett-Album offen ist.
Auf das warte ich auch sehr gespannt!
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Nightcap
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Re: Eingeschränktes Blöken

Beitrag von Nightcap »

Gerade erst hab ich realisiert, von welcher "Zeitung" dieser Artikel ist und da erklärt sich dann doch einiges. Die "Stuttgarter Zeitung" ist ein erzkonservatives Käseblättchen, das sich vor allem dadurch auszeichnet, dass es von guter journalistischer Recherche noch nie was gehört hat.
Das wird schon allein dadurch deutlich, dass es nach wie vor das desaströse Chaosprojekt "Stuttgart 21" unterstützt, wo es nur kann.

Zur Erläuterung:
Dieses Immobilienprojekt (offiziell: Bahnprojekt) kostet den Steuerzahler und Bahnkunden mittlerweile 6,8 Mrd. (nicht Mio.!) Euro, obwohl der unterirdische Haltepunkt weniger Züge abfertigen wird als der bestehende Kopfbahnhof und viele Fragen des Brandschutzes, der Sicherheit und der Umwelt nach wie vor nicht gelöst sind.
Bis Herr Pofalla das Ding in Betrieb nehmen wird (so in 10-15 Jahren), wird vermutlich das doppelte im schwäbischen Gipskeuper verbuddelt sein.
Aber gut, Frau Merkel wollte das Projekt, das reicht dann wohl als Legitimation.

Kurzum: Wenn die StZ sowas schreibt, beginne ich doch zu überlegen, ob ich nicht mal wieder ein Ticket für IA lösen soll...
Der Katzenfisch hat ja heute was gepostet :wink:
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