Jethro Tull - The Rock Opera in York and Gateshead

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Moderator: King Heath

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Marengo
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Jethro Tull - The Rock Opera in York and Gateshead

Beitrag von Marengo »

York und Umgebung hat einiges zu bieten. Ich war dort zum letzten Mal im August 1982 anlässlich des Theakston's Festival in Nostell Priory, das alleine eine Rezension wert wäre. Von daher kam mir der Tourplan der Rock Opera sehr gelegen. Nach einigen Tagen, in denen ich mir York, Castle Howard, Knaresborough und Stamford Bridge -hier besiegte Harold Godwinson im Jahre 1066 die parallel mit den Normannen in England einfallenden Norweger, nur um drei Wochen später bei Hastings gegen die "French Toffs" Krone und Leben zu verlieren- erwandert hatte, war der 12.09. gekommen: Showtime. Das Barbican ist eine recht große Konzerthalle neueren Ursprungs, die wie das alte York in Kalkstein-Optik gehalten ist. Sie war gegen 07:30 p.m. etwa zu 3/4 gefüllt, als Jethro Tull - The Rock Opera pünktlich begann. Ich hatte natürlich schon über Mr. Google die Setlist in Erfahrung gebracht, darüber hinaus aber konsequent vermieden, Details zur Kenntnis zu nehmen.

Licht aus, Intro an. Gibt's inzwischen auf YouTube zu schauen. Ich fand das Sprachgewirr sehr interessant und international, so wie das Thema jeden Menschen interessieren müsste. Das erste Rezitativ war wirklich "moving", klar wollten alle "the old man's Songs" hören. "Heavy Horses", Ian von rechts, saucool mit Bandana, Frauenschal und Brille mit dunklen Gläsern in Sonnenbrillenoptik, damit ihn Nachts sein Spiegelbild nicht blendet:-) Iron-clad feather-feet pounding the dust... . Bis dahin ganz normal, aber dann erschien Unnur Birna Björnsdottir auf dem Bildschirm mit der ersten Hälfte der Refrains. Tolle Stimme, aber irgendwie "strange". Ich hatte aufgrund der Interviews schon vermutet, dass es sich nicht ansatzweise um ein Konzert im klassische Sinne handeln würde, von daher war ich vorbereitet. Und mit zunehmender Dauer, in der die Band mit geradezu beängstigender Detailtreue -three cheers to Scott Hammond- die Studiofassung dieses Stückes auf die Bühne brachte, erschloss sich mir das Konzept des Abends. Unnurs Stimme gab Heavy Horses eine neue Dimension, ja Tiefe, obwohl ich eigentlich "Höhe" schreiben müsste. Das war eine Hommage an Mr Jethro Tull, den historischen Charakter, und gleichzeitig an den alten Mann auf der Bühne des Barbican, der sich völlig darüber im klaren ist, dass er die zeitlose Schönheit seiner Kompositionen stimmlich nur noch sehr begrenzt umsetzen kann. Deshalb "The Rock Opera" als Kunstform sui generis und als einziges Mittel, diese wunderbare Musik in die Illusion eines Konzerts zu verpacken. You can't do this (and Wind Up, The Witch's Promise etc.) on stage any more. Das hatte nichts Peinliches an sich, im Gegenteil: Peinlich wäre es gewesen, eine Perle wie HH durch eine kaputte Stimme, die den Chorus nicht mehr handeln kann, zu verhunzen. Alles war klar und offensichtlich und hatte dadurch wiederum Größe und Souveränität. Das Publikum wirkte auf mich auch an keiner Stelle irritiert, dazu später mehr.

Bei Wind Up sang Ian kaum, was der Aufführung gut tat. Ein Monster mit absolut detailgetreuer Umsetzung, vor allem der Überleitung in den Schwermetall-Teil.

Aqualung entsprach der 2014er-Fasung mit einem virtuellen Ryan o'Donnell.

Die neuen Texte kann man jetzt auch nachlesen. Das empfehle ich sehr. Dann wird auch die perfekte Dramaturgie deutlich. HH als Ikone und Motto des Abends, Wind Up = J.T. studiert auf Drängen des Vaters "Latin and the Law", Aqualung = der lungenkranke, einsame junge Jethro an der Uni in Oxford. Das ist sehr, sehr clever, vielleicht zu clever, dazu auch später. Weiter ging's mit "With You There To Help Me" im virtuellen Duett mit Unnur, Back To The Family, dem immer wieder begeisternden "Farm On The Freeway", dem folkigen "Prosperous Pasture", gefolgt vom schwermetalligen "Fruits Of Frankenfield", jeweils ein- bzw. übergeleitet mit Rezitativen, die musikalisch und textlich nicht ohne sind. Den krönenden Abschluss der ersten Hälfte bildete ein absolut nicht tempoverschlepptes "Songs From The Wood", wie alles Alte sehr eng am Original und mit einem superwitzigen neuen Text.

We are the cats that licked the cream
The Engeneers who raised the steam
Glad bringers of these ageless times
with kitchen prose and gutter rhymes.

Got it?

Pause.

Die zweite Hälfte begann mit dem neuen "And The World Feeds Me", gefolgt von "Living In The Past", wo mir Unnur nicht so gut gefiel. Dann kam Jack-In-The-Green, kraftvoll wie anno dunnemals, ausschließlich von IA gesungen. Überhaupt kam Ian, wenn er nicht gegen eine Wall of Sound ansingen musste, stimmlich gut klar. Ein absoluter Höhepunkt war für mich "The Witch's Promise" mit Unnur Birna B. als Witch. Ich kann mich noch dunkel an die (bescheidene)1999er Version erinnern. Diese Fassung war knackig, Unnur, David Goodier und Ian setzten das gesanglich klasse um. Nochmals zum Format: Es geht heuer entweder so oder gar nicht. Ian Anderson war immer Realist und ist sich seiner Defizite -siehe z.B. das Spiegel-Interview- sehr wohl bewusst. Aber "The Witch's Promise" ist ein Juwel, das man nicht im Plattenschrank verstauben lassen darf. Wiederhören macht Freude, und diese Fassung, wenn auch nicht live im konventionellen Sinne dargeboten, war so ansprechend, dass es tosenden Applaus gab. Und das im Mutterland der stiff upper lip! Weathercock brachte vielleicht noch eine weitere Steigerung. Überhaupt war die Setlist ein echter Ian. Er haut die Kracher und Gassenhauer in der ersten Hälfte raus und schafft es, danach mit einem (Semi-)Akustikblock den Spannungsbogen noch zu steigern. Eine Wahnsinns-Dramaturgie. A Little bit of Metal: Stick, Twist, Bust (got it?), "Cheap Day Return", geschrieben, als Ian's Vater im Sterben lag, aufgeführt im Kontext mit dem Tode des Vaters von Jethro T. Bewegend. Dann "A New Day Yesterday", das wirklich großartige "The Turnstile Gate", Loco und als Zugabe "Requiem And Fugue", Requiem und große Orgelmusik mit etwas Bouree. Grandios. Ian singt zum Abschied "I walk away along the Strand" und geht.

Danach gab's Standing Ovations für ein Konzert, nein eine Präsentation sui generis mit viel Liebe, Witz und einer in meinen Augen und Ohren tollen Ästhetik. Die Zuschauer in York wussten das zu schätzen. Ich glaube dennoch, dass sich in den Medien -wie so oft- wieder Minderheiten als meinungsbildend durchsetzen werden. In den USA wird diese Produktion vermutlich den Heldentod sterben, zu britisch, zu intellektuell und zu unkonventionell. Ansätze gibt es ja auch hier im Forum:-)
Meine ebenfalls in York anwesende Schwester brachte die show summary auf den Punkt:

"Das beste, was ich seit langem gesehen habe, aber damit wäre er niemals berühmt geworden."

Ist er aber, und jetzt kann er's sich leisten, auf alle zu scheißen.

Gateshead 24 Stunden später war nicht minder beeindruckend und vom Sound mit das Beste, was ich jemals gehört habe. Das Sage ist eine hypermoderne, auf Akustik gebaute Konzerthalle, einer Muschel nachempfunden, am Südufer des River Tyne. Eine Meile weiter nördlich habe ich am 15.05.1982 in der City Hall zu Newcastle Jethro Tull auf der Broadsword-Tour gesehen. Das Konzert fing mit etwa 2 Stunden Verspätung an und Ian sagte zur Begrüßung nach "Hunting Girl":

"Sorry for the delay after going bananas for six weeks across Europe. It was lighting by the way, not sound. They're very departmental."

Twas good to be back after all those years.

Cheers, Marengo
Whistling Catfish
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Re: Jethro Tull - The Rock Opera in York and Gateshead

Beitrag von Whistling Catfish »

Marengo hat geschrieben: Und mit zunehmender Dauer, in der die Band mit geradezu beängstigender Detailtreue -three cheers to Scott Hammond- die Studiofassung dieses Stückes auf die Bühne brachte, erschloss sich mir das Konzept des Abends.
Hah! Wär das nicht eine tolle Idee für 2018: Die "Bursting Out Tour 2018"!! Ian 2018 und Band spielen live und Ian '78 singt vom Screen die Vocals aus der Dose! Hat es sowas ähnliches nicht mal mit Elvis gegeben? Elvis - Elvo....der Kreis schließt sich...;)
I wish I was a Catfish, swimmin' in the deep blue sea....
King Heath
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Re: Jethro Tull - The Rock Opera in York and Gateshead

Beitrag von King Heath »

Whistling Catfish hat geschrieben:der Kreis schließt sich...;)
Sehr geiler Song einer meiner Lieblingsbands, den Bronx Boys. Check it out, man!

KH
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