Aqualung Story.....

hier wird über den offiziellen Jethro Tull Fan-Club debattiert.

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Whistling Catfish
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Aqualung Story.....

Beitrag von Whistling Catfish »

Tach zusammen,

ich hab' gerade mal einen selbstbewussten Moment.....lach!

Ich habe - aus aktuellem Anlass - mal eine längere Aqualung Story für die Beggars Farm News verfasst. Und - vorausgesetzt Harald veröffentlicht sie, möchte ich nachfolgend sozusagen einen "Teaser" hier online stellen, der womöglich den einen oder anderen registrierten Boardie doch noch zum Beitritt bewegen könnte, denn die nachfolgenden "Kapitel" dieser Story werden "exclusiv" in der Papierform veröffentlicht und nirgendwo online!......Oha, vielleicht klingt das in manchen Ohren nach der Lektüre eher wie ein erleichterndes Versprechen und nicht wie eine Drohung....lach!

Anyway, hier der (hoffentlich) appetitanregende Vorabzug:
Whistling Catfish hat geschrieben:

Aqualung …..
...oder vom Wiedersehen mit alten Freunden
(Einige irrelevante Gedanken von Whistling Catfish)

Teil 1


Gibt es etwas schöneres als alte Freunde wiederzutreffen? Gemeinsam mit ihnen in der alten Zeit zu schwelgen, im Geiste die alten Erlebnisstätten aufzusuchen um sich gemeinsam mit Ihnen einem Nostalgietrip hinzugeben, der beiden klar macht, dass man in die Jahre gekommen ist? (…der eine mehr, der andere weniger….lach)

Ich unterstelle einfach mal, dass es vielen von Euch ähnlich geht wie mir, denn für mich war Aqualung, der schmierige, auf den ersten Blick eher unsympathische Charakter aus Jethro Tull’s 1971er Meisterwerk ein treuer und loyaler Freund, der mich nunmehr mein halbes Leben begleitet hat.

Gemeinsam mit ihm habe ich die Höhen und Tiefen der Pubertät durchlebt, Aggressionen konnte ich mit ihm genauso gut abbauen, wie ich meinen ersten Liebeskummer mit ihm und seinen Freunden teilte. Viele gute Zeiten hatten wir auch gemeinsam, viele Parties, viele Reisen!

Erinnert Ihr Euch noch wie Ihr ihn kennengelernt habt? Ihn und seine Freunde Cross Eyed Mary, Mother Goose und die anderen? Cast your minds back….

Als ich Aqualung kennenlernte, war er bereits ein ziemlich gereifter Mann. Es war im Jahre 1988 und ich war fasziniert von der unterschwelligen Aggression, die dieser schmierige Charakter ausstrahlte, der da vom Plattencover stierte. Den geschundenen Körper in einen alten, schmutzigen Mantel gehüllt stand er da, an dieser zugigen Hausecke.

Hinter ihm das längs verblichene Plakat aus einer besseren Zeit, welches die besseren Menschen überreden sollte Weihnachten mit Wintersport zu verbringen. Für Aqualung stellte sich die Frage nicht. Er sah eher so aus, als wäre er schon froh, wenn er zu Weihnachten eine Flasche billigen Rotweins ergattern könnte um sich dann in den öffentlichen Bedürfnisanstalten ein wenig die Füße zu wärmen.

Linkisch, ja fast ein wenig bösartig blickt er auf dem Frontcover an uns vorbei. Warum schaut er uns nicht in die Augen? Und was zum Teufel versteckt der Kerl da unter seinem Mantel?

Wenn wir das Cover umdrehen, sehen wir den anderen Aqualung. Ermattet sitzt er auf der Boardsteinkante und seine müden Augen blicken ins Leere. Ein streunender Hund hat sich zu ihm gesellt und schnuppert an seinem Mantel. Aqualung friert, es muss Winter sein in dieser Stadt, die auf mich wirkt wie das London des Charles Dickens. Hier strahlt er keinerlei Bösartigkeit mehr aus – im Gegenteil. Er erregt unser Mitleid und hat jetzt vollends unser Interesse geweckt. Wir alle warfen dem Plattenhändler unseres Vertrauens ein paar Pfunde hin und nahmen Aqualung mit zu uns nach Hause. Wir liessen uns von ihm erzählen, wir liessen es zu, dass er fortan zu einem integralen Teil unseres musikalischen Lebens wurde, ja wir liessen es sogar zu, dass Teile seiner Philosophie zu unserer eigenen wurden. Wir liessen es nur zu gerne zu, dass er uns packte und niemehr losließ.



…in the beginning Man created God; and in the image of Man created he him.

Kaum hatten wir ihn zuhause, unseren neuen Freund, machte er gleich klar, daß er kein einfacher Zeitgenosse ist. Als allererstes gibt er uns seine Psalmen auf, in denen er (scheinbar) unmissverständlich klar macht, das er (wir???) erst durch die heuchlerische Gesellschaft, die mit Ihrer Falschheit und ihren ebenso falschen Werten zu dem wurde, was er (wir??) ist.

Das war etwas, was ich als junger Mensch (damals war ich 15) sofort unterschrieb. Es dauerte nicht lange, und ich (und ihr womöglich auch) war überzeugt davon, dass ich verstanden wurde und dass ich verstanden habe! Ich glaubte damals Bescheid zu wissen und mein Mitleid war nicht mehr bei Aqualung sondern bei den anderen, die eben nichts zu wissen schienen, während ich, Ihr und Aqualung scheinbar alles begriffen hatten. Heute weiss ich, dass ich damals gar nichts begriffen hatte und auch, dass ich auch Aqualung über Jahre missverstanden habe, aber damals…….

Sitting on a park bench….

Eins steht fest: Aqualung erzählt nicht. Er lässt erzählen! Zunächst mal brennt er sich mit einem Riff in unsere Gehörgänge, welches uns seinen Fuselatem und seinen Geruch erahnen lässt. Ganz klar, der erste Teil des Titelstücks beschreibt den Aqualung auf dem Frontcover, den linkischen, den bösartigen. Der Erzähler (Ian) beschreibt ihn mit der gleichen Abscheu, die wir auch verspürten als wir Aqualung zum ersten mal sahen.

„Sitting on a park bench; eying little girls with bad intend;
Snot running down his nose; greasy fingers smearing shabby clothes”


Ja, das ist er! Aqualung, der Fiese! Ein lüsterner, versoffener alter Kerl, der kleinen Mädchen beim Spielen zusieht. Der sich erregt fühlt, durch die unschuldig unter den Miniröcken des Jahres 1971 zur Schau gestellten „frilly panties“. Einer, für den man nichts als Abscheu empfinden kann ( wenn man sich denn zum Establishment zählen will). Doch dann, als uns der Erzähler – noch immer voller Abscheu in der Stimme auf folgendes aufmerksam macht:

„Feeling like a dead duck; spitting out pieces of his broken luck!

Da kommen wir schon ein wenig ans Nachdenken, oder? Auch der Erzähler scheint für einen Augenblick zu überlegen. Noch immer untermalt von dem furiosen Riff und gewitterartigen Drums hält er kurz inne und überlegt! „Oh Aqualung“ (bei 0,59 min auf der Originalversion).

Scheinbar fällt auch dem Erzähler der Aqualung vom Backcover auf und er muss seine bisherigen Statements insofern überdenken, dass diese Kreatur womöglich doch zwei Seiten hat!

Dieser Gedanke schlägt sich auch musikalisch nieder. Abrupt ended das Riffgewitter und wird abgelöst durch den Erzähler allein mit seiner akustischen Gitarre. In sanfter und mitfühlender Stimme erinnert uns der Erzähler, dass es sich bei Aqualung um einen Menschen handelt, der Abseits unserer Gesellschaft steht – der einsam ist, der Schmerzen hat, der trinkt und der angewiesen ist auf die Almosen des Establishments, der Gesellschaft, die sich scheinbar nicht traut sie ihm direkt anzubieten, sondern die es vorzieht, den mittelbaren Weg über die Heilsarmee zu gehen.

Und der Erzähler bleibt nicht allein. Die Band unterstützt seine Stimmung in unvergleichlicher Weise. Schlagzeug, Piano und Bass komplementieren ihn, wie er das obige dem Hörer erläutert. Motiviert dadurch, geht der Erzähler sogar noch weiter und solidarisiert extrem mit Aqualung und bezeichnet ihn gar als Freund:

Aqualung, my friend, don’t you start away uneasy;
You poor old sod, you see, it’s only me!”


Während der Erzähler mit Aqualung solidarisiert, solidarisieren wir mit dem Erzähler!

Wir glauben, dass wir anders sind als die, die Aqualung verstoßen! Und das macht uns wütend.

Der Erzähler geht noch weiter. Wie wenn man einen alten Freund trifft, erinnert er nostalgisch an scheinbar gemeinsame Geschichte! Dies unterstützend wird auch die Musik wieder mehr „up-beat“ und vermittelt eine unterschwellige Wut auf die Gesellschaft und noch viel mehr auf die eigene Machtlosigkeit Aqualungs Situation zu verbessern.

Do you still remember, December’s foggy freeze; when the ice that clings into your beard was screaming agony“

Aber hier wird deutlich, daß dies ebenfalls nur vorgeschobene Solidarität ist, wir solidarisieren mit Aqualung um unser eigenes, schlechtes Gewissen zu beruhigen. Denn die Referenz an den vergangenen Dezember betrifft nur Aqualungs Leiden, während weder wir noch der Erzähler eigene Referenzen an die Agonie vorweisen können.

Die nächste Strophe gibt dann Rätsel auf:

And you snatch your rattling last breath with deep sea diver sounds, and flowers bloom like madness in the spring!”

Bedeutet dies etwa, daß Aqualung stirbt? Während Aqualung nach dem harten Winter seinen letzten Atemzug macht, blühen die Blumen wieder wie wild im Frühling. Ist dies eine erweiterte Metapher auf den Kreis des Lebens?

Ich glaube ja, doch in diesem Fall kann das nicht als hoffnungsvoller Ansatz verstanden werden, denn im Schlußteil wird nocheinmal das Parkbankmotiv mit dem Riff aufgenommen, was man nur so verstehen kann, dass dieser Kreislauf nicht nur für das Leben an sich gilt, sondern ebenso für tragische Schicksale! Aqualung stirbt, doch er verschwindet nicht! Nach dem nächsten Winter trifft es den nächsten – und wir können (oder wollen) nichts daran ändern!
Wen es interessiert wie es aus meiner Sicht weitergeht, der möge sich bitte im Fanclub anmelden..... :oops:

Klingt doof, gell, ist aber ein gut gemeinter Versuch.... :wink:

Viele Grüße,
J.
I wish I was a Catfish, swimmin' in the deep blue sea....
Warchild
Beiträge: 535
Registriert: Di Jan 18, 2005 1:33 pm

Beitrag von Warchild »

Haste gut gemacht ... *schulterklopf* :-)
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