TAAB 2

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Moderator: King Heath

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Birgit
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Re: TAAB 2

Beitrag von Birgit »

Whistling Catfish hat geschrieben:Und vor allem spielt diese ganze alberne "Trainspotterei" und "Ostereiersuche" vor dem Hintergrund einer "neuen" Platte und den Vorwürfen, des "Realitätsverlustes", die hier im Forum jahrelang bauchschmerzbunt ausgeschmückt wurden, immer wenn Ian davon sprach, dass die Fans eigentlich nur eine "neue, alte Platte" wollen........und nun?
...die er aber auf keinen Fall machen wollte, wie er einmal in einem Interview, wenn ich mich recht erinnere mit einem gewissen J.-U. Neumann, gesagt hat.

:wink:

Ich finde übrigens nicht, dass es ein Knaller wie aus alten Tull-Zeiten ist. Erinnert mich doch inzwischen eher an Rupi, was ich aber auch schön finde.
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Caledvwlch
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Re: TAAB 2

Beitrag von Caledvwlch »

Weil das thema mal erwähnt wurde, wie wahrscheinlich ist es denn, dass jemmand offizielles im forum ab und an mitliest?
Wir sind doch Deutschlands grösste Tull-gemeinde oder?


Cheers
Caledvwlch
...last man standing, bowed but alive at 33 Mulberry Drive...
HansJuergen
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Re: Re:

Beitrag von HansJuergen »

Unisono hat geschrieben:Die Kritik in der Süddeutschen ist ja eine Katastrophe!
Die Süddeutsche ist dafür bekannt, dass sie alles, was von Tull und Ian kommt, egal ob Konzert oder Platte, völlig verreißt und niedermacht. Insofern ist der Artikel zu TAAB 2 als Lobeshymne zu werten und spricht für die Qualität der Scheibe...
--- die ich, um mich auch mal dazu zu äußern, als absoluten Meilenstein im "neueren" Tull-Katalog werte (also so ab Mitte der 80er ...). Insbesondere "Banker bets .." ist ein Monster. Andererseits kann sie mit Stand up, TAAB 1, Aqualung, Songs form the Wood, Heavy Horses natürlich nicht mithalten. Ich finde aber auch das ganze "Drumherum" um die Scheibe (homepage statt Zeitung, erstmals deutsche Übersetzungen, Making of, Tour, bei drer ausschließlich 2 Platten und die in voller Länge gespielt werden, Inas diverse Intervies, v.a. das mit sich selbst, etc.) extrem erbaulich und kreatov. Ein echtes Geschenk an uns Fans!
Whistling Catfish
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Re: TAAB 2

Beitrag von Whistling Catfish »

Birgit hat geschrieben: ...die er aber auf keinen Fall machen wollte, wie er einmal in einem Interview (...) gesagt hat.

:wink:
Hihihi....ja, das stimmt. Und er erwähnte sogar explizit "TAAB2" damals. Ich erinnere mich sogar noch wie der "Interviewer" ihm damals auch ausdrücklich davon abgeraten hat....;-)
I wish I was a Catfish, swimmin' in the deep blue sea....
King Heath
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Heath Review

Beitrag von King Heath »

Frei nach dem Motto, dass zwar schon alles gesagt wurde, aber noch nicht von allen, senfe ich jetzt auch mal dazu. Geschrieben habe ich diese Eindrücke bereits vor 5 Tagen, bin aber nicht fertig geworden und wollte vor dem offiziellen VÖ Datum eh nichts schreiben. Hier möchte sich doch jeder erst einmal seine eigene Meinung machen. Und natürlich sind meine Betrachtungen viel zu lang geworden und ich gebe sie deshalb in gekürzter, aber vermutlich noch immer zu langer, Form wieder. An dieser Stelle ist noch einmal Dank an meinen Rockstarkumpel angebracht, der mir das Teil am Freitag in den Briefkasten geworfen hat. Dabei wollte ich doch selbst am Montag ins Schallplattengeschäft gehen. Nun denn:

Ein Meisterwerk. Unser lieb Flötenfischlein hatte vollkommen recht, als er uns einen Knüller ankündigte. Ein fantastisches Konzept, dass musikalisch wie textlich hervorragend umgesetzt wurde. Der Mann kann es immer noch. Warum hat er uns nur so lange zappeln lassen und mit ewigen Best Of Tourneen, die für viele schon zu "better off" Konzerten wurden, an den Rand der Verzweiflung und des Aufgebens getrieben?

Nun ist Anderson mit einem echten Paukenschlag zurück und beweist einmal mehr, dass auch in Zeiten, in denen sich die "populäre" Musik vor allem durch Infantilität und tumbe Wiederholungen x-fach dagewesenen auszeichnet, intelligente Musik möglich ist. Sicherlich, er hat nun nicht gerade das Rad neu erfunden, wie man so sagt, aber er hat im Rahmen seiner Möglichkeiten und des tullschen Universums etwas neues und ungewöhnliches geschaffen. Außerdem hat Ian Anderson etwas zu sagen. Endlich kommt mal wieder einer daher, der mehr als leere Poesieblasen absondert.

Dass das Album mit einer Reminiszenz an Thick As A Brick beginnen würde, hat wohl jeder erwartet und wurde entsprechend nicht enttäuscht. Dass es gerade das Windgebläse vom Ende des ersten Teils und Anfang des zweiten Teils werden würde, hat mich dann doch überrascht. Schon weil es Sinn macht. Ich jedenfalls höre hier den Hauch der Zeit. Der dann einsetzende Riff scheint mir eine Variation von Edit #2 zu sein. Nett auch das immer wieder kurz eingespritzte Zitat aus Edit #1.

Textlich ist From A Pebble Thrown eine schöne Einleitung. Das Leben ist für die meisten von uns eben nicht unbedingt eine Achterbahnfahrt – dem höheren Wesen, das wir verehren sei Dank -, aber auch keine Geisterbahn. Ein bisschen erschreckend aber ist die Aussicht auf das Leben schon, wenn man 15 ist. Mir jedenfalls erging es so. Und geht es eigentlich immer noch.

Meine Lieblingszeile ist übrigens:
Ina Sanderone hat geschrieben:Ripples from a pebble thrown make tsunami on a foreign shore
In jeder Hinsicht gelungene Poesie. Ein starkes Bild und doch mehrdeutig. Wunderbar.

Beim Pebble Instrumental habe ich nun erst einmal einen großen Schreck bekommen, als das dreaded German Squeezy Thing zum Einsatz kam. Oh nein, dachte ich, bitte nicht "Secret Language of Rupi's Penguin over Berlin Zoo"!
Mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt und finde es sehr gut. Gewissermaßen ein eingängiger Progrocker. Und jeder darf mal. Gerettet wird das Stück vor allem durch Florian O.s Gitarre. Auch das variable, mal harte, mal gefühlvoll gespielte Schlagzeug von Scott Hammond lässt das Teil wachsen. Danke. By the way, und man möge mir dafür vergeben, glaube ich nicht, dass Rumpel-Doanne hier der richtige gewesen wäre.

Might-have-beens und folgende Varianten sehe ich als sehr gelungene Rezitative. Sprache, Sprachgesang, wie auch immer, finde ich toll und mich stören auch die Effekte nicht. Ganz im Gegenteil.

Banker Bets, Banker Wins ist ein eingängiger Rocker, der Spaß macht. Klassische tullakustische Einleitung gefolgt von Riffs und abwechselndem Rhythmus- und Solospiel, wie man es von Martin Barre gewohnt ist. Huuups! Der ist ja gar nicht dabei! Wenn Florian O. dann den Gniedler raus holt, emanzipiert er sich von seinem Vorgänger.

Hier muss ich jetzt kritisch werden: In dem Making-of Video ist zu sehen, dass semi-live aufgenommen wurde und die Band in einem Raum saß. Das hat den Vorteil, dass alles sich sehr schön harmonisch einspielt und die Musiker aufeinander eingehen können. Es hat aber auch den Nachteil, dass die Gitarre in ihrer Lautstärke beschränkt bleibt, bleiben muss. Und das ist mein Kritikpunkt. Eine "leise" eingespielte Les Paul kann diesen Knarz, den ein Röhrenverstärker auf 11 erzeugt, einfach nicht bringen. Ich hätte mir gewünscht, Florian O. eine eigene kleine Kabine zu zu teilen, in der er den Regler nach ganz rechts hätte drehen können. Das Mischungsverhältnis stimmt allerdings, was zu Zeiten, als der Meister selbst an den Reglern saß, nicht immer der Fall war. Danke, Steven Wilson.

Aber weiter im Text: den finde ich recht erstaunlich und fast ein bisschen untypisch für Anderson, haut er Banker Gerald doch ganz schön einen vor den Latz. In der Vergangenheit zeigte er für umstrittene Personen auch immer Verständnis. Ich verweise auf "The Whaler's Dues". Gerald the Banker ist einfach nur Arschloch, aber im Lichte kürzlicher Ereignisse ist diese Einstellung gegenüber den Parasiten unserer Wirtschaft wohl auch verständlich, denn es ist leider wahr, dass Lehren aus der Krise eben nicht gezogen wurden und alles hübsch so weiter geht, wie bisher. Hier tut sich bekanntlich ein gewisser Herr Cameron (Eton College Absolvent) besonders hervor, in dem er jede Form von Regulierung, insbesondere durch Besteuerung, in Europa blockiert:
Ian Anderson hat geschrieben:Draconian calls for regulation
are drowned in latte with Starbucks muffin.
Mortgage melt-down, non est mea culpa.
Threatened exit, stage left, laughing...
Banker-bashing gehört heutzutage zum guten Ton und darf in diesem Zusammenhang wohl erwartet werden. In Swing It Far wird es zum ersten Mal richtig gruselig. Das Stück hat mich auf Anhieb umgehauen. Das Glockenspiel sagt leise aber deutlich Achtung: verletzbare Person. Und schon sind wir gnadenlos beim Thema Kindesmissbrauch, umspielt von einer wunderschönen und sehr melancholischen Melodie, die sich mit einem gnadenlosen fast tempo Rocker abwechselt, was die Verwirrung und hilflose Verzweiflung von Gerald, dem Missbrauchten, auf den Punkt bringt. Großartig! Überraschend kommt die schöne Stimme von Ryan O'Donnell. Da hätte ich mir mehr von gewünscht.

Während meiner Zivildienstzeit habe ich u.a. im Bereich der Obdachlosenbetreuung gearbeitet und mir ist da so mancher Gerald über den Weg gelaufen, dem es genau wie beschrieben ergangen sein dürfte. Ich habe es in den Augen vieler minderjähriger Stricher gesehen: Verletzung, den Weg (und die Familie) verloren, und nun der wenig taugliche Versuch, die verlorene Geborgenheit in den Armen von Freiern wieder zu finden.

Well observed, Mr. A.

Adrift And Dumfounded
macht für mich erst jetzt in diesem Zusammenhang Sinn. Musikalisch kommen hier 90er Jahre Tull ("Rocks On The Road") und 70er Jahre Thick As A Brick aufs Schönste zusammen. Akustische Gitarren mit Blues in der E-Gitarre und den Keyboards, dann Florians Riff im Zwischenspiel. Hier hatte ich zum ersten Mal einen Verdacht, aber dazu gleich mehr.

Textlich findet sich auch eine Verbindung zu Rocks On The Road:
Rocks On The Road hat geschrieben:Two young cops handing out a beating:
know how to hurt and leave no mark.
Nur das wir dieses Mal nicht die Perspektive des reichen Rockstars als Beobachter aus seinem Hotelzimmer präsentiert bekommen, sondern die des geprügelten Obdachlosen.

Clever, Mr. A.

Im Übrigen habe ich mich etwas zu oft dabei ertappt, Parallelen zu Tull oder IA Solowerken zu suchen und dieses Unterfangen genervt eingestellt. Ich finde, mal sollte TAAB2 als etwas frisches sehen. Jeder, der sein Instrument kreativ nutzt, wird schon einmal erfahren haben, dass man sich immer wieder in den selben Harmonien verfängt. Das ist gewissermaßen der musikalische Ausdruck der Gene. Worauf ich mich aber weiterhin konzentriert habe, sind die Zitate aus Thick As A Brick, wie beispielsweise im Old School Song.

Das dieser gerade mit dem Thema von Edit # 4 eröffnet - wie Voituresdix ja bereits bemerkte - ist beileibe kein Zufall, heißt es doch dort
Thick As A Brick hat geschrieben:I've come down from the upper classes to mend your rotten ways
Die britische Elite rekrutiert sich aus den "Old School Boys", die Eaton, Charterhouse oder eine ähnliche Schule besucht haben, und nicht wenige schlagen den Weg des Karriereoffiziers ein, wie beispielsweise die Herren William und Harry Windsor. Die Verbindung aus Public (boarding) School und Militär spielt in der britischen Gesellschaft eine große Rolle und ist für uns Deutsche vermutlich nur schwer zu verstehen. Die vermittelten Werte haben sich im Laufe der letzten hundert Jahre nur unmaßgeblich geändert: Rugby (ein strategisches Spiel, bei dem es um Raumgewinn und die Eroberung der gegnerischen "Höhe") geht, das Tragen der Hausfarben auf der Uniform (siehe Harry Potter) und Stolz auf die eigene Gruppe und natürlich die Schulhymne, in diesem Falle aus Gilbert and Sullivan's (nicht Gilbert O'Sullivan) Pirates of Penzance. Stiff upper lip and all that.

Der oben geäußerte Verdacht bezog sich übrigens auf die Hammondorgel. Hier war ich mir nun fast sicher, dass die echt ist. Mein Verdacht hat sich bestätigt. Hurra. Dank an John O'Hara zu dieser klugen Wahl. Es ist eine Freude zu hören, wie die Leslies rotieren. Da vergibt man ihm fast das Akkordeon. Na ja, so weit möchte ich dann doch nicht gehen.

Schön auch die Melodie des Refrains aus dem alten Thick As A Brick Thema heraus. Hat was von einem Marschlied. Wirklich wieder extrem gut gemacht und textlich ein überaus stimmiges Bild:
Old School Song hat geschrieben:From playing fields to killing fields: just one small step of madness
Wie bereits erwähnt, habe ich den Weg des unbewaffneten Soldaten i.e. Zivildienstleistenden eingeschlagen und habe für militärische Zeremonien nicht viel übrig. Ich habe allerdings gelernt, zwischen Menschen und dem Militär zu unterscheiden. Die weit verbreitete Einstellung in Großbritannien ist, dass die Kriege im Irak und in Afghanistan furchtbar sind und die Soldaten besser gestern als heute abgezogen werden sollten, dass man aber, da die Soldaten nun einmal da sind, auch hinter ihnen stehen sollte. Das hat zu den Zeremonien in Wootton Bassett Town (oder Royal Wootton Bassett Town, wie es seit Oktober 2011 offiziel heißt) geführt. Ich kann mich dieser Einstellung nur anschließen und wir sollten auch in unserem Land den schwer traumatisierten und verkrüppelten Bundeswehrsoldaten mehr Solidarität zukommen lassen, ob wir nun mit ihrer Entscheidung dacor gehen oder nicht. Ich war jedenfalls von den Zeremonien in Wootton Bassett Town sehr beindruckt und war offenbar nicht der einzige. Wer mehr wissen möchte:

Wootton Basset - The Town That Remembers

Andersons Betrachtungen zu Wootton Bassett Town haben mich sehr beeindruckt. Tolles Stück.

Um meine Auschweifungen nicht weiter auszuschweifen sei gesagt, dass ich den Rest des Albums ebenso beeindruckend finde.

Den Sound finde ich sehr gut und angemessen. Es macht auf mich den Eindruck einer Kammerrockband. Hier muss nicht schweres Geschütz aufgefahren werden, um den großen Rocker raushängen zu lassen. Das hat der Mann nun wirklich nicht nötig. Wie heißt es so schön: weniger ist manchmal mehr, und das scheint mir hier genau der Fall zu sein.

Danke für diese wunderschöne, interessante und intelligente digitale Schallplatte.

KH

P.S.: Auch der Quetschkommode will ich noch Gerechtigkeit widerfahren lassen: dieses kleine Teil in A Changing Of Horses finde ich ganz allerliebst. Einfach toll.

KH
Unisono
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Heath Korrektur

Beitrag von Unisono »

King Heath hat geschrieben:Nur das wir dieses Mal nicht die Perspektive des reichen Rockstars als Beobachter aus seinem Hotelzimmer präsentiert bekommen
Einspruch, Euer Ehren! "Rocks on the road" beschreibt (laut Anderson selbst) nicht das Leben eines Rockstars, sondern eines Handelsvertreters, der durch öde Provinzstädte und heruntergekommene Hotels ziehen muss.

Ansonsten aber Dank für die hervorragende und detaillierte Beschreibung deiner Eindrücke! Habe ich mit Gewinn gelesen.

Gruß aus Köln
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Birgit
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Re: TAAB 2

Beitrag von Birgit »

King Heath hat geschrieben:Frei nach dem Motto, dass zwar schon alles gesagt wurde, aber noch nicht von allen, senfe ich jetzt auch mal dazu....
.............
Danke für diese wunderschöne, interessante und intelligente digitale Schallplatte.
Na also!

An den Stimm-Effekten scheinen sich die Geister zu scheiden. Ich finde sie nur unpassend und übertrieben in "Swing It Far" und "Power And Spirit".
Whistling Catfish hat geschrieben:
Birgit hat geschrieben: ...die er aber auf keinen Fall machen wollte, wie er einmal in einem Interview (...) gesagt hat.

:wink:
Hihihi....ja, das stimmt. Und er erwähnte sogar explizit "TAAB2" damals. Ich erinnere mich sogar noch wie der "Interviewer" ihm damals auch ausdrücklich davon abgeraten hat....;-)
Gut, dass Du es selber sagst :-)!
Gute Nacht!
Birgit
King Heath
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Re: Heath Korrektur

Beitrag von King Heath »

Unisono hat geschrieben:Einspruch, Euer Ehren! "Rocks on the road" beschreibt (laut Anderson selbst) nicht das Leben eines Rockstars, sondern eines Handelsvertreters, der durch öde Provinzstädte und heruntergekommene Hotels ziehen muss.
Da hast Du bestimmt recht, aber mir ging es - Vewirrung der Ebenen - um die, ähem, Metaebene, also der Verknpüfung des Autoren im Falle von Rocks On The Road mit dem textlichen und musikalischen Inhalt von Confused And Dumfounded. In der Realität ist beides gar nicht unbedingt beabsichtigt, sondern eine reine Interpretation meinerseits. Das ist für mich der eigentliche Spaß an Kunst. Hätte ich sicherlich gleich etwas deutlicher machen können. Sorry!

Ansonsten Dank fürs Lob.
Birgit hat geschrieben:An den Stimm-Effekten scheinen sich die Geister zu scheiden. Ich finde sie nur unpassend und übertrieben in "Swing It Far" und "Power And Spirit".
Über welche Effekte "streiten" wir eigentlich. Meinst du den Megaphoneffekt?

KH
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Nightcap
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Sehr lecker...

Beitrag von Nightcap »

Mittlerweile hab ich das Album auch mehrfach genossen, ohne dass es zu nennenswerten Magenschmerzen geführt hätte, im Gegenteil:

Ich hatte anfangs doch einige Bedenken, als die Idee einer Fortsetzung von TAAB das erste Mal aus den Niederungen der Gerüchteküche hervor brodelte. Ein aufgewärmtes 5-Sterne-Menü kann einfach keine Delikatesse sein, zumal mir beim späteren Lesen der Tracklist ("Kismet in Suburbia" etc.) schon wieder der Geruch von Garam-Masala und Kurkuma in die Nase stieg. Sollte das etwa was RTB-mäßiges werden?

Zum Glück waren die Befürchtungen unbegründet, denn es ist ein wunderbares Album geworden. Und das vor allem deswegen, weil es musikalisch kaum Bezug auf das Original nimmt.
Es ist etwas komplett Neues. Und das schmeckt doch insgesamt ziemlich lecker.

Der Starter kommt mit den beiden Pebbles noch behutsam daher (das Instrumental ist nicht so ganz mein Ding), bevor das Menü zum ersten Mal ins Stocken gerät.
Ein gelesener Text? Hat mich am Anfang gestört, mittlerweile rede ich mir ein, dass es als Zäsur so gewollt ist, um Platz zu schaffen für die 5 Gerald-Hauptgänge.
Passt also.

Weiter geht es mit den verschiedenen Geralds, die alle sehr abwechslungsreich und doch zueinander passend serviert werden. Besonders schmackhaft sind für mich "Banker Bets..." und erstaunlicherweise auch "Adrift And Dumfounded", das hier richtig gut reinpasst. Auch solche kleinen Gaumenfreuden wie das folkige "Give Til It Hurts" halten das Ganze am Köcheln. "Wootton Bassett Town" war mir anfangs zu langsam, inzwischen gewinnt es deutlich an Format, wie ein schwerer Wein zum Hauptgang.

Dann wieder ein Break: "A Change Of Horses" ist für mich dann doch ein Fremdkörper, zumindest an dieser Stelle. Als Starter hätte ich mir das durchaus vorstellen können, da es sehr langsam Spannung aufbaut. Kein schlechter Song, aber an dieser Stelle nimmt er etwas den Schwung raus.

Zusammengeführt werden die einzelnen Geschmacksrichtungen dann im 22 Mulberry Walk, dem grandiosen Finale (ausgerechnet "Kismet In Suburbia" ist für mich einer der stärksten Songs überhaupt).
Zum Schluss noch "What Ifs..." als Nachtisch; das Sahnehäubchen mit dem "Two" hinten dran hatte ich exakt so erwartet, hätte ich aber nicht gebraucht.

Auch die Speisekarte hätte vielleicht etwas ansprechender gestaltet sein dürfen, das Auge isst ja bekanntlich mit.
Egal. Was der Küchenchef mit seiner Crew da alles in allem gezaubert hat, ist schon phänomenal.
Florian liefert eine starke Leistung ab, ich hätte mir nur gewünscht, dass er etwas weniger nach Barre und dafür mehr nach Opahle klingt.
Scott Hammond ist auch klasse, durchgängig.

So lehnt man sich nach diesem gelungenen Menü genüsslich zurück, und will doch gleich wieder Nachschlag.
Aber man soll`s ja nicht übertreiben…
Life's a long song
But the tune ends too soon for us all
Wotan
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Re: TAAB 2

Beitrag von Wotan »

ganz kurz:
einfach nur genial. Erinnert mich an die frühen 70ziger. Aber so hat jeder wohl seine höchst eigene Empfindung. So, soll s auch sein.
KH schrub:
P.S.: Auch der Quetschkommode will ich noch Gerechtigkeit widerfahren lassen: dieses kleine Teil in A Changing Of Horses finde ich ganz allerliebst. Einfach toll.
Wer hätte das gedacht!

Das wichtigste in der Musik steht nicht in den Noten
Gustav Mahler


Wotan
-Zitat--- Wir sind aus solchem Stoffe, aus dem die Träume sind… Sinngemäß aus: „Der Sturm“, 4. Akt, 1. Szene / Prospero, William Shakespeare ---Zitatende---
Beasty
Beiträge: 344
Registriert: Mo Mär 12, 2007 12:33 pm

Re: TAAB 2

Beitrag von Beasty »

Hört noch jemand im Mittelteil von "What-ifs..." das eindeutige "Heavy Horses" Zitat? Die Akustische von "Iron clad feather feet pounding the dust".
He's hundred names of terror, the creature you love the least. Picture his name before you and exorcise the beast.
benefit1955
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Re: TAAB 2

Beitrag von benefit1955 »

Es gibt zwei Jahre in meinem Leben, die es wirklich maßgeblich bestimmt haben: Eines davon war das Jahr 1974, als mich ein Bekannter auf eine ProgRockgruppe namens Jethro Tull aufmerksam machte. Heute, also fast vierzig Jahre später, weiss ich, dass mein Leben ohne diesen instinktiven Spirit, ohne diese embalsierende Emotion aus Musik und Text eines Mannes namens Ian Anderson anders gelaufen wäre. Das Leben ist manchmal seine Challenges und seine unendlichen Volten nicht wirklich lebenswert, aber ich muss sagen, dass es Dinge gibt, ohne die es noch weniger lebenswert wäre. Und das bis heute, und seit dem 30. März umso mehr. Keine Angst, hier spricht nicht nicht das Alter Ego von Gerald Bostock, sondern nur ein simpler Fan. ;-)
Spiral
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Re: TAAB 2

Beitrag von Spiral »

Als long-time-fan der Band seit "Too old to Rock'n Roll..." muss ich mich jetzt auch mal zu Wort melden. Mich stört etwas dieses zerklamüsere der Platte hier im Forum. Seht das Ding doch als Gesamtkunstwerk, so ist es auch gedacht. Welcher Song an welchen anderen erinnert ist doch Wurscht.
Bei mir läuft die Scheibe seit erscheinen ununterbrochen, Zuhause, im Auto, auf dem MP3-Player, und ich bekomme nicht genug. Das Ding wächst, wie schon einige geschrieben haben, und vor allem, es nutzt sich nicht ab.

Den waren Wert von TAAB 2, denke ich, werden wir erst in einigen Monaten so richtig erkennen, wenn Platten wie Rock Island, Roots to Branches, A, Under Wraps, Stormwatch, Heavy Horses und einige andere langsam in derem Schatten verblassen.

Ich bin hin und weg und in einem Monat in Augsburg dabei Jippie!!!

Im übrigen verstehe ich den Hype um Rock Island, Heavy Horses und Roots To Branches nicht ganz. Speziell diese Scheiben haben in mir nicht das sonst so vertraute "hier bin ich daheim-Feeling" aufkommen lassen.
Da ich neu im Forum bin, vielleicht noch meine Tull-Highlights: Stand Up, Benefit, Aqualung, This As A Brick, Too Old To Rock'n Roll ..., Minstel in the Gallery, Songs From The Wood, langes Warten ......... Crest Of A Knave, .......... Catfish Rising ........... Dot-Com und natürlich TAAB 2. Mit Ausnahme des ersten gefallen mir auch die Solowerke von Anderson ganz gut. Klasse ist auch die Barre-Solo-Scheibe Stage Left.
Jack Green
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Re: TAAB 2

Beitrag von Jack Green »

Ich verstehe das Auseinandernehmen von TAAB2 in Hinsicht auf die musikalischen Referenzen und Ähnlichkeiten dagegen als eine Art Liebesbeweis gegenüber dem neuen Werk. Ich kann mir solche Beiträge zwar nicht immer mit hüpfendem Herzen durchlesen (einfach weil es bei mir bei den Verweisen fast nie sofort "klick" macht, das "aha" bleibt bei mir halt erstmal aus, vielleicht komm ich auch noch auf das ein oder andere), aber ich denke es ist wichtig, jeden noch so kleinen Eindruck festzuhalten, der von Fan-Seite aus gemacht wird, einfach aus Spaß an der Sache und vielleicht auch zum Nachschlagen, wenn einem mal selber was auffällt ("hat da nicht in dem Thread mal wer was ähnliches gesagt?...tatsächlich, ich bin doch noch nicht total verrückt"...usw.)
Whistling Catfish
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Re: TAAB 2

Beitrag von Whistling Catfish »

@King Heath:

Vielen Dank für dieses hinreissende Review, Euer Merkwürden. Es war mir wie immer ein Fest Euren Beitrag zu lesen - und dieses Mal lag er auch vollkommen - wie Ihr selbst immer zu sagen pflegt - "ganz auf der Linie meiner Intentionen"....;)

Mit geht es nämlich in der Tat ganz genauso. Mich begeistert dieses Album ebenfalls über alle Massen. Gut, jetzt habe ich ja eh' bei einigen den Ruf des unverbesserlichen, rosarot bebrillten Fanboys weg, der dem "Meister" bis zu den Schulterblättern im Allerwertesten steckt, weil ich meinen Respekt und meiner Begeisterung für meinen musikalischen Helden, Lieblingsunterhalter und allerliebsten Alltagsphilosphen hier auch in Zeiten geäußert habe, in denen dies hier noch als äußerst uncool galt .... aber gut, sei's drum - darum soll es hier ja gar nicht gehen.

Denn was der "Meister" hier - zu einem so späten Zeitpunkt seiner Karriere - vorgelegt hat, ist in meinem Augen (und Ohren) aufgrund des smarten, aber keineswegs überkandidelten Konzeptes - eines der schönsten Exemplare des Genres "konzeptionelle Rockmusik" schlechthin. Als ich vor einigen Wochen bereits einige Schnipsel zu Gehör bekam, wusste ich schon das dies speziell wird. Die wahre Größe erschließt sich allerdings erst nach Studium und Begriff des Inhaltes. Und das haben Euer Merkwürden überaus treffend und viel schöner beschrieben als ich das jemals könnte.

Konzeptionell beschäftigt sich TAAB2 mit einer Frage, die sich JEDER Mensch im Laufe seines Lebens mindestens 1.000 Mal stellt - und filmisch wurde dieses Konzept ja auch schon in den verschiedensten Variatione aufgegriffen, rockmusikalisch meines Wissens allerdings nie.

Ian's Lyrics waren fast immer clever, oft gar poetisch - doch ich finde wirklich dass er sich hiermit sei eigenes Denkmal gesetzt hat. Und ich sage auch gerne warum: Denn nur selten waren sie derart zugänglich und nachvollziehbar für nahezu jedermann. Die Geschichten (oder sagen wir besser die Fragen/Bedenken/Probleme) der verschiedenen Gerald-Inkarnationen sind wunderschön formuliert, ergreifend und vor allem universell. Kein artifizieller Mist (nicht ganz ernst gemeint - nur ein bisschen) wie "A Passion Play" oder zu introvertierter Seelenstriptease oder Alltagsbetrachtung a la Minstrel/SLOB/Rupi - sondern wunderschöne Gebrauchslyrik im allerbesten Sinne. Entfernt erinnert mich das an die kürzlich verstorbene, polnische Literaturnobelpreisträgerin Wislawa Szymborska.

Und die Musik? Das Ian Anderson weiss wie man einen tollen, interessanten und cleveren Song schreibt und auch weiss ihn zu arrangieren war für mich immer klar - genauso klar wie die Tatsache, dass er weiss ein unterhaltsames Konzert für SEIN Publikum zu spielen. Und ja - es sind nicht die lauten und bunten Rockshows gewesen in den letzten Jahren. Es war recently immer der eher kammerrockmusikalische Ansatz - der mir allerdings auch immer sehr entgegengekommen ist.

Was mich dann doch nochmal zu einer Art freundschaftlichen und keinesfalls bösartigen Nachtretens in Richtung einiger der vergangenen Diskussionen auf dieser Plattform hinreissen lässt. Denn was habe ich nicht für "Dresche" einstecken müssen als ich vor einigen Jahren mal sagte das diese "Rubbing Elbows Band" (so nannte man die vor knapp 10 Jahren einmal) schlicht und ergreifend brilliant ist. Da wurde dem Meister hier "Realitätsverlust" attestiert und mir - im besten Fall - das oben erwähnte, rosabebrillte Fanboydasein, manchesmal aber auch Schwachsinn und völliger Unverstand ...;-)

Egal.....TAAB2 ist für mich DIE Platte des Jahrtausends bisher. Zum einen weil ich natürlich ein Fanboy bin, zum anderen weil ich Konzeptalben mag. Und mit TAAB2 haben wir eines der schönsten Exemplare dieses Genres in Händen. Eben weil es ein schönes, nachvollziehbares und ORIGINALES Konzept enthält. Keine rockmusikalische Literaturadaption wie "Tales Of Mystery And Imagination", kein selbstmitleidisches, egozentrisches Gejammer wie "The Wall", keine oberflächliche Unterhaltungsrevue wie "Welcome To My Nightmare"....sondern ein allgemeingültiges, zeitloses, kleines, bescheidenes und deswegen großes Album - bei dem Form, Inhalt und handwerkliche Umsetzung in wunderschönem Einklang stehen. Klassiker! Schon jetzt!

Und es überrascht mich keineswegs, dass ausgerechnet Ian Anderson das vollbracht hat.......;))

Und während ich es höre gedenke ich erneut unserem alten Weggefährten Michael Veith. Ich kann mir gar nicht vorstellen "auf Tour zu gehen" ohne ihn allabendlich zu treffen.......:-(
I wish I was a Catfish, swimmin' in the deep blue sea....
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