Ein Abend mit Katharina Franck oder dem Teufel auf den Schwanz getreten

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Moderator: King Heath

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Marengo
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Ein Abend mit Katharina Franck oder dem Teufel auf den Schwanz getreten

Beitrag von Marengo »

Wer zum Teufel ist Katharina Franck? Nie gehört. Blueprint? Klar, die Rainbirds...

So oder so ähnlich könnte man die öffentliche Wahrnehmung von KF beschreiben. Die Rainbirds landeten mit Blueprint 1988 einen europaweiten Überhit und galten als real hot shit. Mit Recht. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern. Die Rainbirds klangen irgendwie frisch und anders, nicht "typisch deutsch". KF sang mit ihrer bezaubernden und unglaublich nuancenreichen Stimme englisch, als sei das für eine deutsche Künstlerin trotz Udo Lindenberg und BAP das Natürchlichste auf der Welt. War es für sie sicher auch wegen ihrer doch recht internationalen Sozialisation. Die Rainbirds hätten Nr. 5 der international relevanten und erfolgreichen Bands aus Deutschland werden können neben Tangerine Dream, Kraftwerk, den Scorpions und Rammstein. Doch dann kamen Querelen innerhalb der Band auf. Die Gründe sind wie immer unklar. Jedenfalls kam es schon bald zum "Big Split". Nachdem ich die Band 1988 oder 1989 im Jovel in Münster gesehen hatte, verlor ich schnell wieder das Interesse. Es kam kein zweites Blueprint, was nicht nur mich damals enttäuscht hat. Stattdessen ging KF zunehmend auf Solopfade.

Cut.

Wir schreiben 2015. Die Rainbirds sind mit einer Retrospektive in völlig neuem elektronischen Gewand auf Tour und ich schaue mir die Band in Osnabrück an. Die Songs und KF haben nichts an Qualität eingebüßt, so war mein Eindruck. Blueprint anno 2015 klang gewöhnungsbedürftig, aber irgendwie auch frisch, weil es nicht wie damals mit schrammeligen Gitarren daherkam, sondern mit modernen Beats. Und KF's Stimme hatte die Jahrzehnte sehr gut überstanden. Mein Interesse erwachte aufs Neue und ich hörte mich sozusagen rückwärts durch Teile des Werks. Poesie, Experimentelles, Sperriges, aber auch solo und akustisch echte Perlen.

Cut.

Gestern spielte KF so eine Art Wohnzimmerkonzert in dem Musikzimmer eines Restaurants in Castrop-Rauxel. Und das war - awesome. KF war schwer erkältet und kämpfte sich dessen ungeachtet mit Akustikgitarre und Stimme wacker durch ein zweistündiges Programm mit alten und neuen und teils unveröffentlichten Sachen. Neu war für mich, dass die deutsche Sprache in den neuen Stücken relativ breiten Raum einnimmt, was m.E. aber gut funktioniert. Textlich, ob deutsch oder englisch, mit mächtiger und gekonnter Sprache, musikalisch mal zerbrechlich, mal wütend, mal flüsternd, mal explosiv, mal melancholisch, mal heiter, eben typisch KF. By the way, das Ganze kam auch wahnsinnig dynamisch daher. Aus den guten alten Rainbirds-Zeiten hat mich das wunderschöne "The Bird Up There" vielleicht am meisten berührt. Tipp: Es gibt von diesem Stück eine klasse Liveaufnahme auf der Jubiläumsedition der ersten CD, die auch sonst empfehlenswert ist (Video aus Ostberlin anno 1988). Und dann kam als erste Zugabe ein Stück, das man lt. KF "nicht falsch spielen kann". Wörtlich:

"Dieses nächste Lied übe ich eigentlich nie. Manchmal denk' ich, mach's mal lieber..."

Jetzt kam natürlich Blueprint, und KF verhaspelte sich gleich zu Beginn und vergaß den sicher tausendmal gesungenen Text. Charmanter Kommentar: "Siehste, herbeigeredet". Lacher, weiter im Text bzw. das ein zweites Mal gerade nicht. Wieder versemmelt:-)

"I walk ahead alone.
You tell me not to go so fast.
But I am slower than you think.
I am as careful as your"

Lange PAUSE.

Publikumsruf: "touch"

KF fragt: "touch?"

KF lacht und schlägt die Hände vor ihr Gesicht. Riesen Gelächter und Applaus. Wer denkt, das sei peinlich gewesen, irrt. Weltklasse. Muss man hören, läßt sich so schlecht wiedergeben. Ich liebe diese Fehler, die niemand auf dem Schirm hat. Bisher fand ich einen Stockfehler von Ian Anderson am besten. Edinburgh 1987, statt Flöte vor der Poet & Painter Sequenz brüllt er "The poet and the painter" ins Mikro. Aber KF war noch besser und dabei unglaublich natürlich und charmant. "Ich glaub, jetzt müsst Ihr singen, das ist ein Zeichen..." So geschah es. Dann war sie wieder in der Spur und der Vortrag erfolgte nochmals von Anfang an flawless. Sicher das längste Blueprint aller Zeiten.

Fazit: Eine phantastische Ausnahmekünstlerin, die mit der Zeit noch besser geworden ist. Vielleicht war der frühe "Big Split" ein künstlerischer Segen und hat ihr die Freiheit gegeben, machen und spielen zu können, was sie will. Ich denke mir, und jetzt kommt der große Bogen zu Jethro Tull, Ian hätte den Split 1980, was er ja auch wohl vorhatte, konsequent machen und Tull beerdigen sollen. Faktisch ist das ja auch über die Jahre schleichend geschehen. IA ist aber bis heute Sklave seines Ruhms und muss ein Programm auf die Bühne bringen, das er längst nicht mehr stemmen bzw. singen kann. KF scheint frei zu sein. Ein paar Perlen der Rainbirds gehören dazu, aber die Masse ihres Schaffens und Vortrags ist danach entstanden. Anders, aber nicht schlechter. Und diese Frau hat ein Arbeitsethos, das wohl seinesgleichen sucht. Trotz eines hörbaren und immer wieder unterdrückten Hustens eine stimmliche Performance, die einfach nur klasse war. Ich möchte KF jetzt gerne noch einmal gesundheitlich topfit sehen...
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Nightcap
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Re: Ein Abend mit Katharina Franck oder dem Teufel auf den Schwanz getreten

Beitrag von Nightcap »

Ich habe Katharina Franck und die Rainbirds damals, Ende der 80er auch in irgendeinem Club in Stuttgart erlebt, noch mit Beckmann und Rodrigo, der später Teil der Ärzte wurde und wohl auch immer noch ist.
Das Konzert begann damals mit Blueprint und endete glaube ich auch als Zugabe damit, sie hatten damals noch nicht so das pralle Repertoire.
Die Stimmung war aber großartig.
Keine Ahnung, wie der Club hieß, ich weiß nur noch, dass ich mit einer Studienkollegin dort war, die ganz nett war :wink:
Ich habe KF ähnlich wie Marengo über die Jahre nicht mehr wirklich auf dem Schirm gehabt, die Phase mit Ulrike Haage habe ich komplett verpasst.
Erst im Rahmen der Yonder-Tour war ich zusammen mit einer guten Freundin dann nochmal dabei (Tollhaus Karlsruhe) und fand es trotz des leider überschaubaren Publikums einfach großartig! Die Frau hat eine überragende Bühnenpräsenz und nach wie vor eine großartige Stimme.
Ich hab mir die CD noch von ihr und der kompletten Band signieren lassen (inzwischen ist sie ja schon wieder solo unterwegs) und sollte die echt mal wieder hören!
Oder mal wieder hin gehen. Oder beides :wink:
Life's a long song
But the tune ends too soon for us all
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Dietmar
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Re: Ein Abend mit Katharina Franck oder dem Teufel auf den Schwanz getreten

Beitrag von Dietmar »

Ich hab' die Rainbirds damals auch auf der ersten Tour gesehen, muss im Sommer 1988 gewesen sein (wenn ich mich richtig erinnere?), ich war in der Ausbildung, und wir waren mit unserer Azubi-Clique da. War ein Open Air im "Rollsport-Stadion", kleine Location, war nett,sonnig & warm soweit ich mich erinnere. An das "eingeschränkte Programm" kann ich mich auch noch erinnern.

Das zweite Album mit dem ellenlangen Titel gehört heute noch zu einer der bestklingendsten Produktionen in meinem CD-Regal.

Das dritte Album, inzwischen nur noch als Duo, fand ich dann schon nicht mehr so originell, danach hab' ich sie dann aus den Augen verloren, kann mich aber noch an Talkshow-Auftritte von KF erinnern.

Wenn IA es gewollt hätte, könnte er heute auch in kleinsten Clubs sein Reportoire trällern. Da er aber immer vor der max. möglichen Kulisse spielen will, blieb ihm eh keine Wahl, letztlich ging das immer nur im JT-Kontext. Mag man bedauern, so wie sich "Live Tull" entwickelt haben, aber letztlich war das seine Entscheidung.
Marengo
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Re: Ein Abend mit Katharina Franck oder dem Teufel auf den Schwanz getreten

Beitrag von Marengo »

Dietmar hat geschrieben:I
Das zweite Album mit dem ellenlangen Titel gehört heute noch zu einer der bestklingendsten Produktionen in meinem CD-Regal.
Womit wir wieder beim Thema HiFi wären. Stimmt. Call me easy... klingt geil. Auch die Live-Sachen auf der "Rainbirds" Jubiläumsedition finde ich hervorragend, sollte man den Jungs von Ghost mal vorspielen :lol:
Marengo
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Re: Ein Abend mit Katharina Franck oder dem Teufel auf den Schwanz getreten

Beitrag von Marengo »

Nightcap hat geschrieben:... und fand es trotz des leider überschaubaren Publikums einfach großartig! Die Frau hat eine überragende Bühnenpräsenz und nach wie vor eine großartige Stimme.
Ich hab mir die CD noch von ihr und der kompletten Band signieren lassen (inzwischen ist sie ja schon wieder solo unterwegs) und sollte die echt mal wieder hören!
Oder mal wieder hin gehen. Oder beides :wink:
Das Publikum war in Osnabrück (Lagerhalle) auch sehr sehr überschaubar, aber dennoch ein klasse Konzert. Die Rainbirds sind wohl im kollektiven Musikgedächtnis nicht hängengeblieben oder gelten als One Hit Wonder, wo man sich kein Konzert antun muss. Hingehen ist immer gut! Das KF Soloprogramm läuft unter dem Motto "Etwas Flüchtiges, das bleibt" - Songs aus über 30 Jahren KF und neue Gespenster". Du wirst es sicher nicht bereuen.
Marengo
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Re: Ein Abend mit Katharina Franck oder dem Teufel auf den Schwanz getreten

Beitrag von Marengo »

Katharina Franck 22.03.2018 Wermelskirchen



Von dem Konzert von Katharina Franck im Mythos in Castrop-Rauxel war ich trotz des Umstandes, dass KF grippebedingt etwas gehandicapt war, so angetan, dass ich aus verschiedenen Gründen mit dem Gedanken spielte, mir auch noch das Konzert in Wermelskirchen anzuschauen. Diese Gedanken reiften bis zum Entschluss. Gesagt, getan, und so fuhr ich letzten Donnerstag zur Kattwinkelschen Fabrik. Ich kam dort trotz zweier kleiner Staus rechtzeitig zum Soundcheck an. Die Katt, wie man sie dort liebevoll nennt, ist ein ansprechendes Industriedenkmal in städtischer Trägerschaft. Der eigentliche recht große Konzertsaal war für KF mittels Vorhängen etwas verkleinert, was der Akustik sehr dienlich war. Es klang leicht gedämpft und mangels harter Reflektionsflächen war der einzige Hall der durch den hervorragenden FoH Engineer Andreas vom Pult aus dazu gegebene. Der Soundcheck klang durchaus audiophil machte Lust auf mehr. KF schien fit, grippefrei, gut bei Stimme und auch sonst guter Dinge zu sein. Sie sagte augenzwinkernd, dass sie geübt habe und versprach, sich gut einzusingen. Sehr lobenswert, denn es sollte mitgeschnitten werden.

Nachdem ich meine Sachen am Start hatte, erfuhr ich von Andreas, dass er zusätzlich zu meiner Summe alle Spuren einzeln mitschneiden würde. Also völlig unverhofft "the big production". Ich habe mir das im Singer/Songwriter-Genre live immer so einfach vorgestellt, aber hinter dem Mix steckte viel Expertise, wie ich erfuhr. Nicht nur Stimme und Gitarre, sondern recht komplexer Stereo-Hall. Hall ist bei KF's Stimme sehr wichtig. Neben der Musik bestechen die beiden ersten "klassischen" Rainbirds-Platten durch unglaublich durchdachte und strukturierte Hallräume, die seinerzeit m.E. mindestens zu 50% den Charme und damit den Erfolg der Produktionen ausgemacht haben. Ich habe als soundtechnisch interessierter Dilettant immer hohen Respekt vor der Anwendung von Halleffekten gehabt. Gut gemacht öffnen sie Räume und schaffen Weite, schlecht gemacht klingt alles diffus und verwaschen. Hier in der Katt stimmte die Balance zwischen Pre-Delay und Hallfahne(n) perfekt. Katharinas Stimme klang präsent und glasklar, aber gleichzeitig "groß" und "luftig". Auch bei der Gitarre stimmte das Verhältnis von direktem Schall zu verzögertem Signal. Es konnte also losgehen.

Die Location war kurz vor Beginn des Konzerts recht gut gefüllt, so dass die wohl etwas zu knapp aufgestellten Stuhlreihen nicht ganz ausreichten. Kurz nach 20:00 Uhr sprach KF dann "Hallo Spam" aus dem Off, was für mich keine Überraschung war, allerdings wohl für den Rest des Publikums. Ein sehr stimmungsvoller Anfang. Und dann kam diese kleine Frau mir großer Gitarre und noch größerer Stimme hinter dem linken Vorhang hervor und betrat unter dem Beifall der Zuschauer die riesige Bühne. Bei aller Intimität eines Wohnzimmerkonzerts wie in Castrop-Rauxel war Wermelskirchen sozusagen die Mutter aller klassisch aufgebauten Singer/Songwriter-Konzerte! Neben einer großen Bühne gab es auch schönes, warmes Frontlicht, keine LEDs, richtig Old School. Auf den hinteren Vorhang leuchteten noch von unten zwei Washer in gelegentlich wechselnden dezenten Farben, was aus dem Saal wie Säulen und damit sicher auch effektvoll aussah. Aber dafür hatte ich von den Bühnenseite aus keinen Blick. Was ich sah bzw. worauf ich mich fokussierte, sollte großes Kino werden. Katharina perfekt ausgeleuchtet mit schwarzer Gibson, schwarzer Hose, weißer Bluse und anthrazitfarbener Jacke, die in der zweiten Hälfte gegen einen Blazer nahezu gleicher Farbe ausgetauscht wurde, vor einem -seitlich betrachtet- pechschwarzen Hintergrund, das war einfach classy. ARTE would be proud of it:-) Und die Gala sicher auch wegen der Einzelheiten zur Garderobe. Ganz wichtig: Die Bluse passte farblich perfekt zu den Wirbeln der Gitarre. Hier hätte der kleinste farbige Spot in meinem Blickfeld einfach nur genervt. Für Katharina waren die Licht- und Sichtverhältnisse wohl nicht so dolle. Sie bat mehrfach darum, die Spots einmal kurz zu dimmen, damit sie in die Gesichter ihrer Fans schauen könnte. Aber das muss man ertragen, um selbst gut auszusehen.

Es war ein Konzert in zwei Hälften. Statt einer Rezension Track by Track möchte ich an dieser Stelle einmal einige ganz allgemeine Gedanken zu KF und ihrer Kunst äußern. Diese Frau hat eine unglaubliche Bühnenpräsenz. Wenn man allein mit Stimme und Akustikgitarre musiziert, kann man sich nicht verstecken. Oder, wie es der Mensch, dem dieses Forum gewidmet ist, einmal sagte, every nuance, every subtlety, every fuck-up is clearly heard. KF hat nach wie vor eine fantastische Stimme, unglaublich warm und atmosphärisch, und zwar sowohl beim Singen als auch beim Erzählen all der großen und kleinen Geschichten aus ihrem Universum. Hinzu kommt eine unglaublich prägnante Aussprache und eine phantastische Phrasierung. KF verfügt zudem über eine Körpersprache und Mimik, die mit der Emotionalität ihres Werks einhergeht. Es macht einfach Spaß, ihr zuzusehen. Emotionalität ist überhaupt das Stichwort. KFs Werk ist in meinen Augen und Ohren musikalisch und auch textlich absolut subjektiv und gibt auch gar nicht erst vor, irgendetwas Allgemeingültiges zu transportieren. Und in dieser Subjektivität liegt das Wahre. Jeder Zuschauer kann, wenn er sich auf die Musik und die Texte einlässt, seine eigene Wahrheit darin wiederfinden. Viele ihrer neuen und neueren deutschen Texte bedienen sich einer Vielzahl von Bildern und Metaphern, die den Zuschauer förmlich auffordern, sich einzubringen. Das war für mich -egal in welcher Sprache- eigentlich immer das Wesen guter Texte. Ich brauche niemanden, der statt meiner anklagt oder für mich denkt oder mir gar noch von der Bühne herunter sagt, was ich zu denken und zu tun habe. KF ist da ganz anders, poetisch, subtil und deshalb überzeugend. Als m.E. ganz gutes Beispiel kann ihr von ihr selbst so bezeichneter „Beitrag zur #Me Too-Debatte“ dienen, ein Song namens „Wind was playing with my hair“. Lange vor dem Harvey "The Pig" (Sch)Weinstein-Skandal entstanden, setzt sich der Text ganz leise und lakonisch mit dem Thema Gewalt in Beziehungen auseinander bzw., so sollte ich es formulieren, kann man ihn so interpretieren. Das ist Poesie. Dazu eine subtile musikalische Untermalung, die ebenfalls nichts Lautes oder gar Anklagendes an sich hat, dafür einfach und dem Thema angemessen flüsternd und tieftraurig daherkommt. Man würde, selbst wenn man kein Wort Englisch verstehen würde, intuitiv begreifen, dass da etwas bzw.jemand zerbrochen ist. Bevor es jetzt zu abgehoben wird (Kunst kann man nicht in 2 Sätzen umschreiben), Cut und Pause. Das Publikum applaudierte lange und begeistert für diese gelungenen ersten ca. 55 Minuten, denen man Unrecht tuen würde, wenn man bestimmte Lieder hervorheben würde. Gleichwertige Höhepunkte waren für mich neben dem bereits erwähnten Song noch das wunderbare von KF so bezeichnete Kinderlied "The bird up there" sowie "Seven Compartments", beides Rainbirds-Klassiker. Gleichwertig und ebenbürtig den neuen, bisher unveröffentlichten Stücken in deutscher Sprache. "Tiefenschärfe" gewidmet Vivian Maier oder "Die Unsichtbare" gehen unmittelbar ins Ohr. KF hat einfach "Pop Appeal" und die Gabe, immer wieder sehr ansprechende und eingängige Melodien zu komponieren.

Der zweite Teil begann stark mit dem neuen Song "Der Meilenstein", gefolgt von "One Piece of a Puzzle". Dann kam, was ich persönlich als den Höhepunkt des Konzerts empfunden habe, nämlich "Conto de Fadas", auf deutsch Märchen. Die Musik wurde komponiert von Paul Eisenach, Gitarrist der 2014/15 Rainbirds-Besetzung, und Ryan Robinson für den Film "Die Kleinen und die Bösen". Der portugiesische Text stammt von Katharina und behandelt "die Illusion, alleine leben zu können" anhand einer wilden Blume auf den Azoren, die "nichts und niemanden braucht". Ich poste hier einmal einen Link zu einem (visuell m.E. nicht sehr gelungenen) aktuellen Mitschnitt:

https://www.youtube.com/watch?v=p946tovt3iI

Zum Heulen schön und anmutig. Man muss gar nicht verstehen, was KF da genau singt, Stimme und Stimmung sprechen für sich. Weiter ging es durch das Rainbirds-Repertoire mit den Klassikern "Love is a better Word" und "Sea of Time", das als richtiges Bandstück in der akustischen Fassung vielleicht die Überraschung des Abends war. Nach "Weltenende" durfte natürlich "Blueprint" nicht fehlen, mit dem der reguläre Teil des Sets zunächst abgeschlossen wurde. Diesmal (siehe CAS) textsicher. Ich fand und finde das Stück -gerade in der unplugged-Version- stark. Klasse Gitarre, extrem rhythmisch, gesanglich -beim zweiten Refrain- bis an die Grenzen des Möglichen gehend. Eine starke Performance, die dieser Song verdient hat. KF kann stolz darauf sein, ein solches Stück Musikgeschichte geschrieben zu haben und ist es wohl auch. Zumal sie sich als Künstlerin, wie dieses Konzert eindrucksvoll bewiesen hat, nicht ansatzweise auf ihre Vergangenheit reduzieren lässt, mag jene auch noch so groß sein. Unter tosendem Beifall verließ sie die Bühne, um kurz darauf für zwei weitere neue Nummern wiederzukommen: "Die Masse tobt!", uptempo, gefolgt von dem besinnlichen, ja zerbrechlichen "Wohin gehst Du wenn Du schläfst", which really gave me the shivers. Die Bandbreite der Emotionen, die KF zu transportieren vermag, ist schlicht enorm.

Nachdem die völlig aus dem Häuschen geratenen Zuschauer KF, die sie sich bereits verabschiedet hatte, noch einmal zu einem kurzen Stück, a cappella und mit kleinem textlichen Blackout, zurückgeklatscht hatten, endete dieser wunderbare Abend. What else to say? Katharina, falls Du das mitlesen solltest: Baby, you're shining. You f#cking well killed it! Ich bin wirklich dankbar für dieses Erlebnis. Es war m.E. ein absolut rundes Konzert, das glücklicherweise vor dem Vergessen gerettet wurde. By the way: Wo ist eigentlich unser kulturelles Radio- und Fernsehprogramm, für das ich Zwangsbeiträge bezahlen muss? Warum können die Medien so etwas nicht einmal professionell mitschneiden? So "müssen" bzw. dürfen die Fans das für den Giftschrank machen. Aber besser so ein Hobby-Projekt als nix. Etwas Flüchtiges, das bleibt und das die Bühnenkünstlerin KF im Jahre 2018 durchaus adäquat wiedergibt. Speak soon.
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