Musings of a "Taper"...

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Marengo
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Musings of a "Taper"...

Beitrag von Marengo »

...oder an outline history of Bootlegs.

Ich möchte einmal versuchen, mich dem Phänomen der Bootlegs -durchaus auch autobiographisch- zu nähern. Der schillernde Begriff "Bootleg" soll hier verstanden werden als unauthorisierte Liveaufnahme von musikalischen Darbietungen. Alles soll angefangen haben mit einem gewissen Lionel Mapleson, seines Zeichens Hüter der Partituren (librarian) der Met in NYC. Mapleson kam in Kontakt mit dem Edison Model A sowie einem Bettini Recorder, Prototypen aller mobile recording devices, und nahm von 1901 - 1904 zahlreiche Aufführungen in der Met fragmentarisch auf Walzen auf. Fragmentarisch deshalb, weil die Aufnahmedauer der Modelle, die ihm zur Verfügung standen, auf zwei Minuten begrenzt war. Das Material gilt als musikgeschichtlich einzigartig, weil es aus der Zeit vor der elektronischen Schallaufzeichnung keine Aufnahmen kompletter Orchester gibt. Klar, der Schall mußte durch einen Trichter eingefangen werden, so dass die Studios enge Kabinen waren, in die man übereinander vielleicht 6 Musiker gepackt bekam. Maplesons Wachswalzen überdauerten trotz zum Teil exzessiven Abspielens über ein Jahrhundert und sind noch heute, teils in absolut indiskutabler, teils in recht guter Qualität erhalten. Mapleson gilt -wohl zu Unrecht- als Vater der Bootlegger. Nach meinem Kenntnisstand war es so, dass die ausübenden Künstler zum Zeitpunkt der Aufnahmen keine Schutzrechte hatten. Wie so oft hinkte die Rechtsordnung den technischen Möglichkeiten hinterher. Das ist in etwa so, wie man es heutzutage bei der Regulierung des Internet mit all seinen Chancen, aber auch Risiken beobachten kann. Tonaufzeichnungen "on the fly" waren am Anfang des 20. Jahrhunderts etwas für absolute Nerds, so dass die USA kein Regelungsbedürfnis für diese neue Technik sahen und erst später unter dem Druck der technischen Entwicklung den ausübenden Künstlern einen Schutz zuerkannt haben. Jetzt aber genug der Vorrede.

Ich habe mit 14 Jahren quasi mit Too Old... (mehr dem Stück als der LP) langsam begonnen, meine Passion für Tull zu entwickeln. Ich stolperte zwei Jahre später ca. 1978 über eine alte Ausgabe unserer Schülerzeitung "Die Brücke", in der ein euphorischer Konzertbericht über Tull im Januar 1971 in Münster zu lesen war. Den besitze ich noch heute. Er fiel mir kürzlich wieder in die Hände und mir wurde plötzlich klar, dass dieser Bericht der Anfang von allem war. Ich fragte nämlich bei meinen Mitschülern und den Redakteuren nach, wer denn wohl die Fotos, die da abgedruckt waren, gemacht hätte. Niemand konnte mir das sagen. Im Archiv waren sie allerdings nicht mehr. Aufgrund meiner Hartnäckigkeit brachte ich schließlich immerhin in Erfahrung, dass sie ein gewisser H.W. mitgenommen habe. H.W. war einige Jahre über mir und machte gerade sein Abi. Ich fasste mir ein Herz und klingelte eines Abends bei Familie W. an der Haustür. Mir wurde von Mutter W. geöffnet, ich stammelte heraus, was ich wollte und wurde zu Sohnemann H. vorgelassen. Was ich dann sah und erfuhr, sprengte alles, was ich auch nur im Entferntesten für möglich gehalten hatte. Mein heliozentrisches Weltbild als Musikfan entstand an diesem einen Abend. H. kam aus einer wohlhabenden Familie und nannte schon im zarten Alter von 18/19 Jahren 2000 (in Worten zweitausend) LPs sein eigen. By Harry! Damit nicht genug, handelte es sich bei ca. 500 von ihnen um Bootlegs. Die ganzen Klassiker der Seventies, Trade Mark Of Quality, TAKRL, ZAP und wie die Labels alle hießen. Led Zep im LA Forum, The Who in Swansea, Genesis in wtf... Natürlich durfte auch Tull nicht fehlen. H. hatte u.a. die Supercharged, das legendäre Live-Doppelalbum von der Passion Play Tour aus dem LA Forum, Ticketron (exzellenter früher TAAB Mitschnitt aus dem April 1972) und noch einiges mehr zu bieten. Der Abend wurde recht lang, so dass ich mir am nächsten Morgen eine Standpauke von Frau Mutter (gut, dass sie nicht gemerkt hatte, dass ich dem reichlich kredenzten DAB zugesprochen hatte) anhören durfte, denn H. hatte noch ein Ass im Ärmel, genauer gesagt zwei Asse: Tull live 1972 und 1973 in der Halle Münsterland auf Tonband. Das war wirklich außerhalb meines damaligen Vorstellungsvermögens als stolzer Besitzer noch nicht einmal aller erschienenen regulären Tull-LPs.

H. gab mir das Tonband sowie einige Bootlegs, u.a. die Supercharged, zum Überspielen mit. Ich war der glücklichste Mensch der Welt. Hieraus entwickelte sich eine richtige Freundschaft. H. war absolut fixiert auf Bootlegs und "tief in der Szene". Er gab mir den "Hot Wacks Quarterly" zum Lesen. Er zeigte mir, wo und wie man Bootlegs per Post in den USA bestellen konnte. Ey, das war lange vor dem Internet. Kein Witz: Man schickte an eine P.O. Box Cash per einfachem Brief und wartete dann monatelang. Oft kam irgendwann das ersehnte Paket mit Zollaufkleber aus FFM, manchmal kam auch nix. Ich habe mich dann für einige Bestellungen angeschlossen. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie groß die Freude war, wenn H. angerufen hatte, um zu sagen, dass er ein Paket aus USA bekommen hatte! So bekam ich das "Sackful of Trousersnakes" Live-Doppel aus dem April 1977. Ich war angefixt. H. nahm auch selbst Konzerte auf, wenn auch nur in mäßiger Qualität, die ich mir dann bei Interesse kopierte. Schön war es, als es den Begriff des Downloads noch nicht gab. Das war alles viel aufwändiger, fast konspirativ. Hat Riesenspaß gemacht und mich massiv beeindruckt.

Mir war dann recht schnell klar, dass ich auch Konzerte mitschneiden wollte. Ich machte erste Erfahrungen im Live-Recording einer damals lokal recht populären Jazz/Fusion Band eines gewissen Chris B., der in NOH auch einen LP-Laden (natürlich auch mit Boots unter dem Ladentisch) hatte. Zwei dieser Aufnahmen besitze ich noch. Man fuhr damals mit dem Fahrrad ins Jugendzentrum. Das Equipment bestand aus meinem stationären TEAC Tapedeck, das nur mit Strom lief, und zwei durchschnittlichen Mikros mit Klinke, die dann einfach in die entsprechenden Eingänge gesteckt wurden. Die Mikros habe ich dann in der Hand gehalten, Bierholen und Schiffen ging nicht. Das war so ca. 1979. Die Ergebnisse hielt ich für überzeugend, und das waren sie unter Anlegung von Amateur-Standards vermutlich auch.

Dann kam die Stormwatch Tour und meine Feuertaufe nahte. Ich habe sie in extenso geschildert und darf an dieser Stelle einfach verweisen:

http://www.laufi.de/board/viewtopic.php?f=25&t=7529

http://www.laufi.de/board/viewtopic.php?f=25&t=7531

Die Ergebnisse waren schlicht phänomenal und lassen mich noch heute, wenn ich diese historischen Aufnahmen ab und an höre, staunen. Ich war 17 Jahre alt, nicht fronterfahren, naiv, aber gerade deshalb sind Münster und Essen vielleicht die besten Bootlegs aus jener Zeit. Ich habe dann recht schnell erkannt, dass gutes Equipment das A und O einer Mikrofonaufnahme darstellt und mir den "großen" tragbaren Sony mit Dolby B für DM 500,- zugelegt (umgerechnet mehr als zwei Wochen Arbeit in der Textilindustrie). Aber diese Investition hatte sich gelohnt. Die Tull-Shows in Dortmund und Bremerhaven 1981 (trotz Kabelbruchs bei einem Mikro), Bremen, Hamburg, Köln und Essen 1982, alle mit dem Sony gemacht, halte ich ebenfalls (mit) für die Referenzaufnahmen der entsprechenden Tourneen. Besser ging wohl aus dem Publikum heraus nicht. Zu Bremen fällt mir noch ein Schwank aus meiner Jugend ein. Das war ja die legendäre Show mit dem Flötendiebstahl während der Zugabe bei Minstel in the Gallery. Die Lyrics lauteten by the way: "He met the gazes to observe the spaces...gimme the flute...". Nach Showende packte ich in aller Ruhe meine Sachen in die zu Transportzwecken mitgeführte Fahrradtasche (!), nicht ahnend, dass die Ausgänge der Stadthalle von der Tull-Crew kontrolliert werden würden. Auf die Frage "What's in there?" entgegnete ich unter willigem Öffnen der Tasche "A tape recorder, Sir" und...das war's. No further questions.

1982 war auch das Jahr, in dem der Walkman seinen Siegeszug begann. Mein Freund und Kupferstecher H.W. brachte sich aus den USA einen kleinen kompakten Sony mit eingebautem Stereo-Mikrofon mit. Leider war, was natürlich suboptimal ist, keine manuelle Aussteuerung möglich. Ich habe H. dann für meinen Trip nach U.K. (13.05.1982 London Wembley Arena und 15.05.1982 Newcastle City Hall) das Teil aus dem Kreuz geleiert, spater im Jahr noch für das Theakston's Festival und die Golden Summernights (40° im Schatten) in Wiesbaden. Die Qualität bedeutete einen Rückschritt (Automatik, kein Dolby), aber ich hätte als Rucksacktourist mein viel zu großes Standard-Equipment gar nicht mitnehmen können. Und, siehe Bremen, die Ära der Fahrradtaschen-Bootlegs war definitiv vorbei. Es wurde zunehmend kontrolliert und weniger diskutiert, so dass ich die gesamte UW-Tour mit H.'s Walkman bestritten habe. Nonetheless, die Aufnahmen vor allem aus London 84 mag ich auch heute noch sehr. Man hört viel besser als auf den Soundboards, wie sehr die Turbosound PA -zum ersten Mal in Europa komplett geflogen- geknallt hat. Das war maximaler Schalldruck und klang richtig geil.

Back on track war ich qualitativ wieder 1987 mit dem legendären Sony WM D3 (später WM D6, der auch Dolby C hatte). München 1987, ca. 6. Reihe in Höhe von Peggy. Jedes verfügbare Turbosound-Kabinett hing, noch ein paar links und rechts auf den Boden gestackt für den Arenafloor, und ab ging's. Aber sowas von ab. Das waren keine Line-Arrays, so dass die alte Regel galt, wonach es vorne brutal laut sein musste, damit hinten noch genug ankam. Immer wieder gerne gehört. Oder Essen 1989, damit konnte man Tote aufwecken, die 1990er Tour in England, etc. pp. Die 1991er Shows aus dem Osten (Rostock, Dresden) zeigen mir heute noch, wie gut Tull trotz stimmlicher Schwächen auch nach 1984 noch sein konnten. Ich will mich jetzt nicht in Einzelheiten verlieren, aber summa summarum sind dies zeitlose Publikumsmitschnitte, denen die Digitaltechnik nichts anhaben kann. Im Gegenteil, gut gemachtes analoges Recording hat immer noch -gescheit in 24/96 digitalisiert, eine Tiefe, die viele digitale Mitschnitte einfach nicht aufweisen. Ich jedenfalls möchte die analogen Tage nicht missen. Da mögen von 1980 bis Anfang 2000 so ca. 150 Tull-Shows zusammen gekommen sein.

Den Rest möchte ich technisch nur kurz streifen. 1993/95 DAT, dann wieder analog WM 06, soundtechnisch qualitativ herausragend die 1999er Shows einschließlich einer kurzen US-Tour (Wallingford, Holmdel PNC und Jones Beach), ab 2001 Mini Disc (rückblickend ein großer Fehler wegen der Datenreduktion, aber die Dinger waren ja so schön klein...), ab ca. 2009 via Tascam auf SD Card. Neben Tull galt mein spezifisches Interesse übrigens den Kinks und Colosseum, wovon ich jeweils einige sehr ansprechende Aufnahmen gemacht habe, aber auch sonst habe ich hier und da Shows mitgeschnitten, wenn auch nicht so viele.

Tja, Bootlegs, ein kontroverses Thema. Seit Jahren habe ich übrigens an dieser Form des Live-Recordings das Interesse verloren, weil ich Tull/IA für nicht mehr aufnahmewürdig erachte und daher "kleinere" Bands oder Solokünstler, von denen ich gerne Mitschnitte hätte, einfach um Erlaubnis bitte. Nicht jeder hat Gott sei Dank so eine Phobie gegen Live-Mitschnitte wie der gute Ian. Ich war selbst überrascht, wie oft Profimusiker einer gescheiten Live-Aufnahme (meist zugleich mit Video) zustimmen, wenn man sich vorstellt, freundlich ist, das Material anschließend zur Verfügung stellt und vor allem verschwiegener und diskreter ist als jede Briefkastenfirma aus Luxemburg. Von daher freue ich mich über ein stetig wachsendes Archiv von qualitativ exzellenten Konzertmitschnitten (4K Video, Audio aus'm Pult), die leider in den allermeisten Fällen aus rechtlichen Gründen im Giftschrank bleiben müssen. Denn das alles funktionniert nur durch persönliche Beziehung zum Künstler und Vertrauen, das nicht enttäuscht werden darf. Vielleicht bin ich die Vivian Maier der Musik. Falls jemand von Euch, wie ich, sich ebenfalls der Livemusik verschrieben haben und gerne selbst aufnehmen sollte, mag er/sie/es die Bands einfach fragen und wird vielleicht positiv überrascht werden. Klar, von den Stones oder Alice Cooper wird man keine Antwort bekommen, aber die kommerziell, nicht künstlerisch, zweite und dritte Liga ist da oft sehr aufgeschlossen. Zum Teil (Phish etc.) sogar die erste Liga, jedenfalls was Mikrofonaufnahmen anbelangt, so sagt man. Check it out! Fragen kostet wirklich nichts.

Abschließend halte ich das Mitschneiden von Konzerten, notfalls auch nach der Devise legal, illegal, scheißegal, für künstlerisch und moralisch richtig, sofern damit kein Geld verdient wird. Künstlerisch ist Tull ein gutes Bespiel. Dank unerschrockener Fans kann man heute zumindest erahnen, welchen Impact die Aqualung Tour gemacht haben muss. Oder TAAB mit all' diesen Jokes. Oder der Gipfel der "artifiziellen Kacke", (C) Katzenfisch, das ebenso seelenlose wie großartige APP, das alles erschließt sich in der Wirkung auf die damaligen Konzertgänger m.E. nur über Bootlegs. Auch wenn in den letzen Jahren erfreulicherweise immer mehr aus Tulls "Golden Age" offiziell veröffentlicht wurde, müssen wir wahrscheinlich damit leben, dass wohl nicht mehr irgendein Soundboard von 1973 auftauchen wird. Ich denke, die Archive sind im wesentlichen durchforstet. Aber auch da, wo es offizielle Mitschnitte gibt, halte ich Bootlegs im Interesse einer möglichst objektiven Werkschau für eigentlich unverzichtbar. Stormwatch aus Den Haag gibt die Magie dieser letzten "klassischen" Tull-Shows nicht wieder, den Sound übrigens auch nicht. Dann im Zweifel eher Essen 1980. Bremen 1982 ist schon wegen des Flötendiebstahls, den Ian noch heute von Zeit zu Zeit erwähnt, ein faszinierendes historischen Dokument. Die KBFH Mitschnitte von 1987 klingen völlig leblos im Vergleich zu einem grandiosen Abend in der Münchener Olympiahalle mit einem diabolischen, teils (Hunting Girl) extrem lustig-sexistischen IA, dessen große Kunst mit ebenso großen Wattzahlen 'rausgehauen wurde. All' das und vieles mehr wäre im Dunkel der Geschichte versunken, gäbe es die Gattung der "Taper" nicht. Und, weil es hier ganz gut passt, möchte ich einen "Taper" hervorheben, der leider nicht mehr unter uns weilt: Michael Veith, der sich selbst quasi als Chronist von JT/IA gesehen hat und es neben ein paar anderen sicher auch war. Er würde jedes meiner Worte hier unterschreiben.

Moralisch halte ich es im Zweifel auch für richtig, sofern -ich betone es erneut- kein Geld fließt. Das Interesse der Allgemeinheit daran, ebenso flüchtige wie großartige Kunst zu konservieren, überwiegt in meinen Augen grundsätzlich das Urheberrecht, so wie wir es heute noch verstehen. Wer privat bleiben möchte, soll unter der Dusche singen. Im Grunde geht die Entwicklung (siehe Youtube) ja auch politisch in diese Richtung. Fast jedes Musikvideo, das dort eingestellt wird, ist illegal, wird aber in den meisten Fällen geduldet. Das ist gut, hilft bei der Orientierung im Dschungel der Musik und wird auch künftigen Generationen ermöglichen, einen Künster aus vielen Blickwinkeln zu sehen und zu begreifen. Obwohl ich als Urheber zahlreicher "Werke" natürlich, das gebe ich ehrlich zu, auch froh bin, dass mit meinen Aufnahmen nicht jeder machen kann, was er will. Ein schwieriges Thema ohne allzu klare Antworten auf viele ungelöste Fragen. Ich persönlich respektiere, wie ausgeführt, natürlich voll und ganz die Abreden, die ich mit den Künstlern treffe. Darüber hinaus ist unsere Rechtsordnung, was die Tull-Sachen anbelangt, nun einmal so, wie sie ist. Wenn ich einmal nicht mehr bin, hoffe ich, dass all' das, was ich aufgenommen habe, so es die Zeit überdauert, in musikalisch versierte und furchtlose Hände kommt, die das teils sicher künstlerisch und/oder historisch relevante Material, jedenfalls wenn es keine offizielle Alternative gibt, einfach 'raushauen. Maplesons Aufnahmen sind auch erst nach seinem Tod veröffentlicht worden. Er selber hat deren Wert erstaunlicher Weise wohl nicht erkannt.
Whistling Catfish
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Re: Musings of a "Taper"...

Beitrag von Whistling Catfish »

Marengo hat geschrieben:...oder an outline history of Bootlegs.

Ich möchte einmal versuchen, mich dem Phänomen der Bootlegs -durchaus auch autobiographisch- zu nähern. Der schillernde Begriff "Bootleg" soll hier verstanden werden als unauthorisierte Liveaufnahme von musikalischen Darbietungen. Alles soll angefangen haben mit einem gewissen Lionel Mapleson, seines Zeichens Hüter der Partituren (librarian) der Met in NYC. Mapleson kam in Kontakt mit dem Edison Model A sowie einem Bettini Recorder, Prototypen aller mobile recording devices, und nahm von 1901 - 1904 zahlreiche Aufführungen in der Met fragmentarisch auf Walzen auf. Fragmentarisch deshalb, weil die Aufnahmedauer der Modelle, die ihm zur Verfügung standen, auf zwei Minuten begrenzt war. Das Material gilt als musikgeschichtlich einzigartig, weil es aus der Zeit vor der elektronischen Schallaufzeichnung keine Aufnahmen kompletter Orchester gibt. Klar, der Schall mußte durch einen Trichter eingefangen werden, so dass die Studios enge Kabinen waren, in die man übereinander vielleicht 6 Musiker gepackt bekam. Maplesons Wachswalzen überdauerten trotz zum Teil exzessiven Abspielens über ein Jahrhundert und sind noch heute, teils in absolut indiskutabler, teils in recht guter Qualität erhalten. Mapleson gilt -wohl zu Unrecht- als Vater der Bootlegger. Nach meinem Kenntnisstand war es so, dass die ausübenden Künstler zum Zeitpunkt der Aufnahmen keine Schutzrechte hatten. Wie so oft hinkte die Rechtsordnung den technischen Möglichkeiten hinterher. Das ist in etwa so, wie man es heutzutage bei der Regulierung des Internet mit all seinen Chancen, aber auch Risiken beobachten kann. Tonaufzeichnungen "on the fly" waren am Anfang des 20. Jahrhunderts etwas für absolute Nerds, so dass die USA kein Regelungsbedürfnis für diese neue Technik sahen und erst später unter dem Druck der technischen Entwicklung den ausübenden Künstlern einen Schutz zuerkannt haben. Jetzt aber genug der Vorrede.

Ich habe mit 14 Jahren quasi mit Too Old... (mehr dem Stück als der LP) langsam begonnen, meine Passion für Tull zu entwickeln. Ich stolperte zwei Jahre später ca. 1978 über eine alte Ausgabe unserer Schülerzeitung "Die Brücke", in der ein euphorischer Konzertbericht über Tull im Januar 1971 in Münster zu lesen war. Den besitze ich noch heute. Er fiel mir kürzlich wieder in die Hände und mir wurde plötzlich klar, dass dieser Bericht der Anfang von allem war. Ich fragte nämlich bei meinen Mitschülern und den Redakteuren nach, wer denn wohl die Fotos, die da abgedruckt waren, gemacht hätte. Niemand konnte mir das sagen. Im Archiv waren sie allerdings nicht mehr. Aufgrund meiner Hartnäckigkeit brachte ich schließlich immerhin in Erfahrung, dass sie ein gewisser H.W. mitgenommen habe. H.W. war einige Jahre über mir und machte gerade sein Abi. Ich fasste mir ein Herz und klingelte eines Abends bei Familie W. an der Haustür. Mir wurde von Mutter W. geöffnet, ich stammelte heraus, was ich wollte und wurde zu Sohnemann H. vorgelassen. Was ich dann sah und erfuhr, sprengte alles, was ich auch nur im Entferntesten für möglich gehalten hatte. Mein heliozentrisches Weltbild als Musikfan entstand an diesem einen Abend. H. kam aus einer wohlhabenden Familie und nannte schon im zarten Alter von 18/19 Jahren 2000 (in Worten zweitausend) LPs sein eigen. By Harry! Damit nicht genug, handelte es sich bei ca. 500 von ihnen um Bootlegs. Die ganzen Klassiker der Seventies, Trade Mark Of Quality, TAKRL, ZAP und wie die Labels alle hießen. Led Zep im LA Forum, The Who in Swansea, Genesis in wtf... Natürlich durfte auch Tull nicht fehlen. H. hatte u.a. die Supercharged, das legendäre Live-Doppelalbum von der Passion Play Tour aus dem LA Forum, Ticketron (exzellenter früher TAAB Mitschnitt aus dem April 1972) und noch einiges mehr zu bieten. Der Abend wurde recht lang, so dass ich mir am nächsten Morgen eine Standpauke von Frau Mutter (gut, dass sie nicht gemerkt hatte, dass ich dem reichlich kredenzten DAB zugesprochen hatte) anhören durfte, denn H. hatte noch ein Ass im Ärmel, genauer gesagt zwei Asse: Tull live 1972 und 1973 in der Halle Münsterland auf Tonband. Das war wirklich außerhalb meines damaligen Vorstellungsvermögens als stolzer Besitzer noch nicht einmal aller erschienenen regulären Tull-LPs.

H. gab mir das Tonband sowie einige Bootlegs, u.a. die Supercharged, zum Überspielen mit. Ich war der glücklichste Mensch der Welt. Hieraus entwickelte sich eine richtige Freundschaft. H. war absolut fixiert auf Bootlegs und "tief in der Szene". Er gab mir den "Hot Wacks Quarterly" zum Lesen. Er zeigte mir, wo und wie man Bootlegs per Post in den USA bestellen konnte. Ey, das war lange vor dem Internet. Kein Witz: Man schickte an eine P.O. Box Cash per einfachem Brief und wartete dann monatelang. Oft kam irgendwann das ersehnte Paket mit Zollaufkleber aus FFM, manchmal kam auch nix. Ich habe mich dann für einige Bestellungen angeschlossen. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie groß die Freude war, wenn H. angerufen hatte, um zu sagen, dass er ein Paket aus USA bekommen hatte! So bekam ich das "Sackful of Trousersnakes" Live-Doppel aus dem April 1977. Ich war angefixt. H. nahm auch selbst Konzerte auf, wenn auch nur in mäßiger Qualität, die ich mir dann bei Interesse kopierte. Schön war es, als es den Begriff des Downloads noch nicht gab. Das war alles viel aufwändiger, fast konspirativ. Hat Riesenspaß gemacht und mich massiv beeindruckt.

Mir war dann recht schnell klar, dass ich auch Konzerte mitschneiden wollte. Ich machte erste Erfahrungen im Live-Recording einer damals lokal recht populären Jazz/Fusion Band eines gewissen Chris B., der in NOH auch einen LP-Laden (natürlich auch mit Boots unter dem Ladentisch) hatte. Zwei dieser Aufnahmen besitze ich noch. Man fuhr damals mit dem Fahrrad ins Jugendzentrum. Das Equipment bestand aus meinem stationären TEAC Tapedeck, das nur mit Strom lief, und zwei durchschnittlichen Mikros mit Klinke, die dann einfach in die entsprechenden Eingänge gesteckt wurden. Die Mikros habe ich dann in der Hand gehalten, Bierholen und Schiffen ging nicht. Das war so ca. 1979. Die Ergebnisse hielt ich für überzeugend, und das waren sie unter Anlegung von Amateur-Standards vermutlich auch.

Dann kam die Stormwatch Tour und meine Feuertaufe nahte. Ich habe sie in extenso geschildert und darf an dieser Stelle einfach verweisen:

http://www.laufi.de/board/viewtopic.php?f=25&t=7529

http://www.laufi.de/board/viewtopic.php?f=25&t=7531

Die Ergebnisse waren schlicht phänomenal und lassen mich noch heute, wenn ich diese historischen Aufnahmen ab und an höre, staunen. Ich war 17 Jahre alt, nicht fronterfahren, naiv, aber gerade deshalb sind Münster und Essen vielleicht die besten Bootlegs aus jener Zeit. Ich habe dann recht schnell erkannt, dass gutes Equipment das A und O einer Mikrofonaufnahme darstellt und mir den "großen" tragbaren Sony mit Dolby B für DM 500,- zugelegt (umgerechnet mehr als zwei Wochen Arbeit in der Textilindustrie). Aber diese Investition hatte sich gelohnt. Die Tull-Shows in Dortmund und Bremerhaven 1981 (trotz Kabelbruchs bei einem Mikro), Bremen, Hamburg, Köln und Essen 1982, alle mit dem Sony gemacht, halte ich ebenfalls (mit) für die Referenzaufnahmen der entsprechenden Tourneen. Besser ging wohl aus dem Publikum heraus nicht. Zu Bremen fällt mir noch ein Schwank aus meiner Jugend ein. Das war ja die legendäre Show mit dem Flötendiebstahl während der Zugabe bei Minstel in the Gallery. Die Lyrics lauteten by the way: "He met the gazes to observe the spaces...gimme the flute...". Nach Showende packte ich in aller Ruhe meine Sachen in die zu Transportzwecken mitgeführte Fahrradtasche (!), nicht ahnend, dass die Ausgänge der Stadthalle von der Tull-Crew kontrolliert werden würden. Auf die Frage "What's in there?" entgegnete ich unter willigem Öffnen der Tasche "A tape recorder, Sir" und...das war's. No further questions.

1982 war auch das Jahr, in dem der Walkman seinen Siegeszug begann. Mein Freund und Kupferstecher H.W. brachte sich aus den USA einen kleinen kompakten Sony mit eingebautem Stereo-Mikrofon mit. Leider war, was natürlich suboptimal ist, keine manuelle Aussteuerung möglich. Ich habe H. dann für meinen Trip nach U.K. (13.05.1982 London Wembley Arena und 15.05.1982 Newcastle City Hall) das Teil aus dem Kreuz geleiert, spater im Jahr noch für das Theakston's Festival und die Golden Summernights (40° im Schatten) in Wiesbaden. Die Qualität bedeutete einen Rückschritt (Automatik, kein Dolby), aber ich hätte als Rucksacktourist mein viel zu großes Standard-Equipment gar nicht mitnehmen können. Und, siehe Bremen, die Ära der Fahrradtaschen-Bootlegs war definitiv vorbei. Es wurde zunehmend kontrolliert und weniger diskutiert, so dass ich die gesamte UW-Tour mit H.'s Walkman bestritten habe. Nonetheless, die Aufnahmen vor allem aus London 84 mag ich auch heute noch sehr. Man hört viel besser als auf den Soundboards, wie sehr die Turbosound PA -zum ersten Mal in Europa komplett geflogen- geknallt hat. Das war maximaler Schalldruck und klang richtig geil.

Back on track war ich qualitativ wieder 1987 mit dem legendären Sony WM D3 (später WM D6, der auch Dolby C hatte). München 1987, ca. 6. Reihe in Höhe von Peggy. Jedes verfügbare Turbosound-Kabinett hing, noch ein paar links und rechts auf den Boden gestackt für den Arenafloor, und ab ging's. Aber sowas von ab. Das waren keine Line-Arrays, so dass die alte Regel galt, wonach es vorne brutal laut sein musste, damit hinten noch genug ankam. Immer wieder gerne gehört. Oder Essen 1989, damit konnte man Tote aufwecken, die 1990er Tour in England, etc. pp. Die 1991er Shows aus dem Osten (Rostock, Dresden) zeigen mir heute noch, wie gut Tull trotz stimmlicher Schwächen auch nach 1984 noch sein konnten. Ich will mich jetzt nicht in Einzelheiten verlieren, aber summa summarum sind dies zeitlose Publikumsmitschnitte, denen die Digitaltechnik nichts anhaben kann. Im Gegenteil, gut gemachtes analoges Recording hat immer noch -gescheit in 24/96 digitalisiert, eine Tiefe, die viele digitale Mitschnitte einfach nicht aufweisen. Ich jedenfalls möchte die analogen Tage nicht missen. Da mögen von 1980 bis Anfang 2000 so ca. 150 Tull-Shows zusammen gekommen sein.

Den Rest möchte ich technisch nur kurz streifen. 1993/95 DAT, dann wieder analog WM 06, soundtechnisch qualitativ herausragend die 1999er Shows einschließlich einer kurzen US-Tour (Wallingford, Holmdel PNC und Jones Beach), ab 2001 Mini Disc (rückblickend ein großer Fehler wegen der Datenreduktion, aber die Dinger waren ja so schön klein...), ab ca. 2009 via Tascam auf SD Card. Neben Tull galt mein spezifisches Interesse übrigens den Kinks und Colosseum, wovon ich jeweils einige sehr ansprechende Aufnahmen gemacht habe, aber auch sonst habe ich hier und da Shows mitgeschnitten, wenn auch nicht so viele.

Tja, Bootlegs, ein kontroverses Thema. Seit Jahren habe ich übrigens an dieser Form des Live-Recordings das Interesse verloren, weil ich Tull/IA für nicht mehr aufnahmewürdig erachte und daher "kleinere" Bands oder Solokünstler, von denen ich gerne Mitschnitte hätte, einfach um Erlaubnis bitte. Nicht jeder hat Gott sei Dank so eine Phobie gegen Live-Mitschnitte wie der gute Ian. Ich war selbst überrascht, wie oft Profimusiker einer gescheiten Live-Aufnahme (meist zugleich mit Video) zustimmen, wenn man sich vorstellt, freundlich ist, das Material anschließend zur Verfügung stellt und vor allem verschwiegener und diskreter ist als jede Briefkastenfirma aus Luxemburg. Von daher freue ich mich über ein stetig wachsendes Archiv von qualitativ exzellenten Konzertmitschnitten (4K Video, Audio aus'm Pult), die leider in den allermeisten Fällen aus rechtlichen Gründen im Giftschrank bleiben müssen. Denn das alles funktionniert nur durch persönliche Beziehung zum Künstler und Vertrauen, das nicht enttäuscht werden darf. Vielleicht bin ich die Vivian Maier der Musik. Falls jemand von Euch, wie ich, sich ebenfalls der Livemusik verschrieben haben und gerne selbst aufnehmen sollte, mag er/sie/es die Bands einfach fragen und wird vielleicht positiv überrascht werden. Klar, von den Stones oder Alice Cooper wird man keine Antwort bekommen, aber die kommerziell, nicht künstlerisch, zweite und dritte Liga ist da oft sehr aufgeschlossen. Zum Teil (Phish etc.) sogar die erste Liga, jedenfalls was Mikrofonaufnahmen anbelangt, so sagt man. Check it out! Fragen kostet wirklich nichts.

Abschließend halte ich das Mitschneiden von Konzerten, notfalls auch nach der Devise legal, illegal, scheißegal, für künstlerisch und moralisch richtig, sofern damit kein Geld verdient wird. Künstlerisch ist Tull ein gutes Bespiel. Dank unerschrockener Fans kann man heute zumindest erahnen, welchen Impact die Aqualung Tour gemacht haben muss. Oder TAAB mit all' diesen Jokes. Oder der Gipfel der "artifiziellen Kacke", (C) Katzenfisch, das ebenso seelenlose wie großartige APP, das alles erschließt sich in der Wirkung auf die damaligen Konzertgänger m.E. nur über Bootlegs. Auch wenn in den letzen Jahren erfreulicherweise immer mehr aus Tulls "Golden Age" offiziell veröffentlicht wurde, müssen wir wahrscheinlich damit leben, dass wohl nicht mehr irgendein Soundboard von 1973 auftauchen wird. Ich denke, die Archive sind im wesentlichen durchforstet. Aber auch da, wo es offizielle Mitschnitte gibt, halte ich Bootlegs im Interesse einer möglichst objektiven Werkschau für eigentlich unverzichtbar. Stormwatch aus Den Haag gibt die Magie dieser letzten "klassischen" Tull-Shows nicht wieder, den Sound übrigens auch nicht. Dann im Zweifel eher Essen 1980. Bremen 1982 ist schon wegen des Flötendiebstahls, den Ian noch heute von Zeit zu Zeit erwähnt, ein faszinierendes historischen Dokument. Die KBFH Mitschnitte von 1987 klingen völlig leblos im Vergleich zu einem grandiosen Abend in der Münchener Olympiahalle mit einem diabolischen, teils (Hunting Girl) extrem lustig-sexistischen IA, dessen große Kunst mit ebenso großen Wattzahlen 'rausgehauen wurde. All' das und vieles mehr wäre im Dunkel der Geschichte versunken, gäbe es die Gattung der "Taper" nicht. Und, weil es hier ganz gut passt, möchte ich einen "Taper" hervorheben, der leider nicht mehr unter uns weilt: Michael Veith, der sich selbst quasi als Chronist von JT/IA gesehen hat und es neben ein paar anderen sicher auch war. Er würde jedes meiner Worte hier unterschreiben.

Moralisch halte ich es im Zweifel auch für richtig, sofern -ich betone es erneut- kein Geld fließt. Das Interesse der Allgemeinheit daran, ebenso flüchtige wie großartige Kunst zu konservieren, überwiegt in meinen Augen grundsätzlich das Urheberrecht, so wie wir es heute noch verstehen. Wer privat bleiben möchte, soll unter der Dusche singen. Im Grunde geht die Entwicklung (siehe Youtube) ja auch politisch in diese Richtung. Fast jedes Musikvideo, das dort eingestellt wird, ist illegal, wird aber in den meisten Fällen geduldet. Das ist gut, hilft bei der Orientierung im Dschungel der Musik und wird auch künftigen Generationen ermöglichen, einen Künster aus vielen Blickwinkeln zu sehen und zu begreifen. Obwohl ich als Urheber zahlreicher "Werke" natürlich, das gebe ich ehrlich zu, auch froh bin, dass mit meinen Aufnahmen nicht jeder machen kann, was er will. Ein schwieriges Thema ohne allzu klare Antworten auf viele ungelöste Fragen. Ich persönlich respektiere, wie ausgeführt, natürlich voll und ganz die Abreden, die ich mit den Künstlern treffe. Darüber hinaus ist unsere Rechtsordnung, was die Tull-Sachen anbelangt, nun einmal so, wie sie ist. Wenn ich einmal nicht mehr bin, hoffe ich, dass all' das, was ich aufgenommen habe, so es die Zeit überdauert, in musikalisch versierte und furchtlose Hände kommt, die das teils sicher künstlerisch und/oder historisch relevante Material, jedenfalls wenn es keine offizielle Alternative gibt, einfach 'raushauen. Maplesons Aufnahmen sind auch erst nach seinem Tod veröffentlicht worden. Er selber hat deren Wert erstaunlicher Weise wohl nicht erkannt.
Vielen Dank, mein lieber Marengo, für die überaus interessanten Einblicke in das Taper-Dasein. Wie Du weißt, habe ich persönlich das ‚live‘ Erlebnis immer als flüchtig erachtet und Euch - in freundlicher Art und Weise - immer ein wenig als nerdige Spinner angesehen. So ähnlich wie auch die klassischen Sammler, die auch noch die 113. Kopie von Aqualung brauchten, weil das venezuelische Label seinerzeit eine andere Farbe hatte als die anderen 112 Kopien.

Für mich war ‚LIVE‘ immer nur der Augenblick! Den Mitzuschneiden und die Aufmerksamkeit zwischen dem Gelingen der Aufnahme und des ‚nicht-erwischt-werdens‘ und dem Erlebnis als solchem zu teilen stand für mich immer im Widerspruch! Zumal in ‚meiner‘ Zeit die Ergebnisse der Taperei ohnehin eher die Unzulänglichkeiten als die ‚Magie‘ dokumentierten! :wink:

Heute sehe ich das ein wenig anders - und bin dankbar für so manche Aufnahme, auch wenn ich Bootlegs eigentlich nie zum Musikgenuss auflege, sondern ggf. nur mal aus Nostalgie. Dieser Stormwatch Mitschnitt von Dir, den wir hier mal Weihnachten gehört haben, war und ist für einen der erst Ende der 80er eingestiegen ist, allerdings in der Tat ein geiles Dokument!! Sehr geil!

Grüße,
WC

PS: Artifizielle Kacke?? Ich meine immer gesagt zu zu haben ‚artifizieller Mist‘! Kann mich aber auch täuschen..... :lol:
I wish I was a Catfish, swimmin' in the deep blue sea....
Unisono
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Re: Musings of a "Taper"...

Beitrag von Unisono »

Marengo hat geschrieben:Mapleson gilt -wohl zu Unrecht- als Vater der Bootlegger. Nach meinem Kenntnisstand war es so, dass die ausübenden Künstler zum Zeitpunkt der Aufnahmen keine Schutzrechte hatten.
in der Tat "zu Unrecht", aber nicht wegen der Schutzrechte, sondern weil die Aufnahmen offenbar mit Kenntnis und Einverständnis der jeweiligen Sänger entstanden.
Es gibt da eine gute Seite der Public LIbrary in New York (wo das Material heute aufbewahrt wird). Da kann man sich sogar Beispiele anhören.
https://www.nypl.org/node/90326
Laufi
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Re: Musings of a "Taper"...

Beitrag von Laufi »

Was für ein -das muss man in aller Deutlichkeit sagen- phantastischer, mit viel Herzblut geschriebener Text! Dem stimme ich zu ziemlich 100% zu - einzig: ich hätte vielleicht (ich habe wirklich nur ein paar wenige Sachen aufgenommen) nicht die Muße gehabt, das Liverlebnis durch die Konzentration auf die Aufnahme stören zu lassen. Gerade den historischen Aspekt (ich, Gnade des jugendlichen Alters, hätte ohne Livemitschnitte kaum eine Chance, JT Konzerte vor 1987 nachzuvolllziehen) finde ich sehr sinnvoll und besonders mit dem angesprochenen finanziellen Aspekt (ich kenne da ein paar Leute (andere Künstler und es gab kürzlich in der Mint einen entsprechenden Artikel) gehe ich konform - Profitmache ist hier sehr verabscheuenswert!
Bleibt zu hoffen, daß Deine Werke vernünftig konserviert werden - besser zu Lebzeiten ;-)
"Du hast wohl nen nassen Helm auf!"

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Marengo
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Re: Musings of a "Taper"...

Beitrag von Marengo »

Unisono hat geschrieben:
Marengo hat geschrieben:Mapleson gilt -wohl zu Unrecht- als Vater der Bootlegger. Nach meinem Kenntnisstand war es so, dass die ausübenden Künstler zum Zeitpunkt der Aufnahmen keine Schutzrechte hatten.
in der Tat "zu Unrecht", aber nicht wegen der Schutzrechte, sondern weil die Aufnahmen offenbar mit Kenntnis und Einverständnis der jeweiligen Sänger entstanden.
Es gibt da eine gute Seite der Public LIbrary in New York (wo das Material heute aufbewahrt wird). Da kann man sich sogar Beispiele anhören.
https://www.nypl.org/node/90326
Die Seite kenne ich seit Jahren. Insbesondere das Booklet zu der letzten Edition ist faszinierende Lektüre, da kommt alles zusammen: Die Frühgeschichte der Tonaufzeichnung, die Konservierung, die menschlichen Irrungen und Wirrungen. Zwei wichtige Fragen bleiben unbeantwortet. Zum einen weiß niemand, warum Mapleson praktisch Ende 1903 mit seinen Recordings aufgehört hat. Eine Theorie besagt, dass ihm die Leitung der Met angesichts von Anfragen kommerzieller "Labels" bedeutet hat, es besser sein zu lassen. Damit wären wir wieder beim Urheberrecht, denn auch heute noch hat der Veranstalter unter bestimmten Bedingungen ein Wörtchen mitzureden. Zum anderen bleibt rätselhaft, warum Mapleson mit seinen einmaligen historischen Tonaufzeichnungen so schlampig umgegangen ist. Die besten Walzen gingen nach England zu seiner Schwester und sind verschollen. Das meiste, was in den USA verblieb ("the bottom of the barrel"), wurde so oft buchstäblich abgenudelt "beyond the point of repair", wie es in dem Booklet so schön heißt, gar mit einem rostigen Nagel abgespielt (!). Mapleson war Opernprofi und muss gewusst haben, das er z.B. die einzigen Tonaufzeichnungen von Jean de Reszke besaß, dem größten Opernsänger vor Caruso. Schwer vorstellbar, dass er deren Wert (künstlerisch aber auch monetär) nicht erkannt haben soll. Bill Graham hat es da besser gemacht, IA auch. Es reicht also nicht, Schätze zu haben bzw. aufzunehmen. Man muss deren Wert nicht nur erkennen, sondern auch historisch denken, sie konservieren und versuchen, sie in ordnungsgemäßem Zustand den nachfolgenden Generationen zu übergeben. Schwer genug... Mapleson soll seine Aufnahmen einmal als "far too personal" (für eine Veröffentlichung) bezeichnet haben. Vielleicht war es das. Vivian Maier ist ja auch trotz lebenslanger Geldsorgen nicht im Ansatz auf den Gedanken gekommen, auch nur einen Cent mit ihren Fotos zu verdienen. Für sie war das absolute Privatsache. Oder Gurlitt oder, oder...

Marengo wird hier demnächst dank der kooperativen und verständnisvollen Art von Katharina Franck für alle Rainbirds-Fans hoffentlich einmal einen Link zu einem Power-Video von Blueprint posten:-)
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