Palma Auditorium 24. Februar 2024

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Laufi
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Palma Auditorium 24. Februar 2024

Beitrag von Laufi »

Jethro Tull, Palma Auditorium, Palma de Mallorca, 24. Februar 2024

Zunächst die Vorgeschichte, warum ich -nachdem ich ja angekündigt hatte, das Konzert vor dem Kölner Dom letztes Jahr wäre mein letztes ‚ever‘- ich letztlich doch noch eine „Jethro Tull“ Show besucht habe:

Seit längerer Zeit, so ca rund 15 Jahre, bin ich regelmäßig zum Rennrad fahren auf Mallorca, seit 10 Jahren tatsächlich 2-3 mal im Jahr, meist im Winter und Frühjahr, um für die Saison zu trainieren und mich fit zu halten oder zu machen. Bereits um Weihnachten herum hatte ich bei einem Kaffeestop in Petra, einem kleinen Dorf in der Mitte der Insel, also durchaus im „Niemandsland“, in einem Café ein Plakat gesehen, dass ein Jethro Tull Konzert bewarb. Ich hatte es sogar fotografiert.

Relativ kurzfristig, da ich ein Zeitfenster hatte, buchte ich in diesem Februar eine gute Woche zum Frühjahrstraining, bis zum 23. Februar. Bei meiner Ankunft war quasi das erste, was ich sah, eine Ankündigung für das Tull Konzert – einen Tag nach meiner Abreise! Ok, vielleicht war das ein Zeichen! Ich überlegte kurz und habe meinen Aufenthalt schließlich zwei Tage verlängert. Ich buchte ein Ticket im zweiten Oberrang, also „unterm Dach“, in dem Moment waren noch ca. 50 Plätze frei.

Der 24. Februar war der erste Tag seit langem, an dem es ein wenig auf der Insel regnete. Ich wollte eh keine große Tour mehr fahren, also fuhr ich mein Rennrad in seine „Garage“ (es lebt bei einem Freund, der ein Haus auf der Insel hat, in seinem Schuppen), machte mich frisch und begab mich am Nachmittag nach Palma. In der Altstadt (mittlerweile war es schon wieder sonnig) genehmigte ich mir ein Tumbet und etwas Rotwein und begab mich pünktlich um 19:00 Uhr zum Auditorium.

Das Palma Auditorium liegt direkt am Paseo Maritim, gegenüber dem Hafen von Palma, hat also wirklich eine exquisite Lage. Tatsächlich hatte ich schon öfters mal überlegt, nebenan im Hotel Palma Bellver abzusteigen – hätte ich das dieses Jahr gemacht, hätte ich direkt rüberrollen können 😉.
Vor dem Eingang gab es eine recht lange Schlange, also entschloss ich mich zu einem schnellen Bier in der Bar nebenan, ein wenig Ausschau haltend nach bekannten Gesichtern - ich habe letztlich keine gesehen.

Der große Saal des Auditoriums fasst 1246 Plätze, es handelt sich um ein klassisches Theater mit Plüschsesseln, man betritt den Raum und merkt sofort, dass es hier eine gute Akustik gibt. Ein durchaus angenehmer Konzertsaal, wenn auch ein wenig in die Jahre gekommen – wesentlich besser als eine klassische Mehrzeckhalle.

Der Saal füllte sich zunehmend, das Publikum war meist spanisch/mallorquin, aber auch einige deutsche Residenten/Urlauber und wenige Engländer hatten offensichtlich den Weg ins Auditorium gefunden. Man hörte eine Melange verschiedener Sprachen, wie es auf Mallorca üblich ist. Die Menge war durchaus gemischt, auch einige jüngere waren dabei, aber -ohne jeglichen Sarkasmus- die Anzahl derer, die mit Krückstock und in gebückter Haltung (lichtes Haar und Wohlstandsbäuche sowieso!) kamen, war doch am größten. Wir werden alle älter, so ist das halt! Der Saal war bis in die letzte Reihe voll.

Die Bühne war spartanisch eingerichtet, ein Drumset, drei Amps und eine Monitorbox (für Ian), hinter ihm ein Ventilator. Dazu die Effektpedale und vier Stelen mit Varilights drauf, das war’s. Im Hintergrund eine Videoleinwand, auf der man den Schriftzug „Jethro Tull“ als Loop in Wasser „schwimmend“ sah. Stutzig machte mich die recht kleine P.A. Anlage, die zudem auf dem Boden stand und in einer Kurve nach oben ausgerichtet war. Ich bin kein Beschaller, aber eine geflogene P.A. hätte für mich mehr Sinn gemacht. Nun gut, das sind Profis, die werden wissen, was sie tun.
Das Konzert startete mit etwas Verspätung um 20:15 Uhr nach einer Durchsage (nur auf spanisch), „Ian Anderson bittet darum, keine Fotos und Videos zu machen“, die mit Applaus bedacht wurde.

Zum Konzert: ich fange einfach mal mit ein paar Fakten an, damit sie behandelt wurden: Ian Andersons Stimme ist kaputt, er kann quasi nicht mehr singen. Mal trifft er die Töne, meist ist er einen Viertelton daneben, manchmal komplett. Brüchig klingt es obendrein. „Entlastet“ wird er dann und wann von Dave Goodier und Joe …äh …. naja, dem Gitarristen, der jetzt wieder aussteigt. Die treffen (meist) die Töne, sind aber beileibe keine Leadvocalisten. Wir wissen das alle, wir haben da Tausend mal drüber lamentiert und selbst wenn ich das auszublenden versuche: es zieht mir immer noch oft genug die Fußnägel hoch. Muss ich akzeptieren, wusste ich vorher, habe ich akzeptiert. Und insgeheim habe ich es dann auch ein paar Mal gefeiert, wenn der Meister eine Zeile lang alle Töne getroffen hat!

Es galt aber natürlich wesentlich spannenderes zu beobachten, denn dieses Konzert sollte eines der letzten sein, bei dem Joe mit von der Partie ist und eines der wenigen, bei dem John nicht dabei ist, weswegen jetzt zusätzlich Jack mitspielt, der dann weiter dabei bleibt, wenn Joe aussteigt. Verstanden? Jack & Joe & John und der Rest der coolen Gang! Zwei elektrische Gitarren also, dazu noch später mehr.

Zur Rückprojektion: die Sache mit den Backdrops finde ich generell eine gute Idee (man kann zudem mittlerweile recht easy an jedem Konzertort eine LED-Wand zur Bespielung leihen), das gibt dem ganzen eine gewisse Tiefe und die visuelle Umsetzung kann das Konzerterlebnis deutlich emotionalisieren und vertiefen. Wenn man es gut macht. Hier macht man es leider überhaupt nicht gut. Das fängt mit dem Loop an, der die Stunde vor dem Konzert auf der Leinwand läuft (dazu als Einlassmusik übrigens eine Playlist mit Tracks von u.a. Yes, King Crimson und …. Jethro Tull! Warum höre ich von denen 5 Tracks, bevor ich sie live sehe? Damit ich danach weiß, wie die Stimme mal geklungen hat?). Der Loop hat eine Dauer von ca. 15 Sekunden und man sieht deutlich, wann er wieder neu beginnt, dann gibt es einen „Sprung“. Ja, das ist nur ein Detail, aber trotzdem: jeder Auszubildende Mediendesign hätte das in wenigen Minuten seamless gebaut. Im zweiten Song, „We Used To Know“ gibt es Bilder vom Isle Of Wight Festival 1970 – mit deutlichen Kompressionsartefakten, das sieht so aus, als hätte das jemand von YouTube gezogen. Sorry, davon gibt es einen 2K Transfer vom 16mm Original, wenn da jemand für ein paar Schnipsel dran kommt, dann doch wohl hoffentlich die Ian Anderson Band! Das zieht sich dann den ganzen Abend so weiter, es gibt zu jedem Song wahl- und sinnlos aneinander geschnittenes Stock-Material: sieben Minuten Pferdegespanne auf Acker bei „Heavy Horses“, bei „Farm on the Freeway“ jede Menge (guess what?!) Bilder von Farmen und …. Freeways (letztere dann eigentlich immer die gleichen), zwischendurch darf IA sich um sich selbst im Kreis drehen, gespickt mit „psychedelischen“ Bildeffekten, die ich schon in den 80er Jahren kacke fand. Für mich wirklich peinlicher Höhepunkt dann die vermutlich KI gerenderten Bilder besonders bei „Wolf Unchained“ (ein böse dreinblickender …. Wolf!) und den anderen neuen Songs. Bei Mrs Tibbets sehen wir alles an Bombenmaterial, was sich von den WW2 Dokus günstig lizensieren ließ und natürlich gibt es bei Aqualung zunächst eine Auswahl der beliebtesten Parkbänke Englands, gefolgt von einem Potpourri von dramatisch aussehenden Obdachlosen, tatsächlich über den kompletten Song (und der ist ja nun nicht grad kurz). Aber, hey, er hebt die Kippe wirklich an der richtigen Stelle auf! Und -natürlich- sehen wir bei Locomotive Breath ein Best Of von Englands schönsten Bahnstrecken, keine Ahnung, ob das bei der BBC im Nachtprogramm läuft. So eine Rückprojektion ist schon was feines – wenn man sie professionell macht. Ist hier leider nicht geschehen, rant off.

Wo ich schon dabei bin: Licht gibt es, auch durchaus schönes, sogar mit gründlich ausgeleuchteter Bühne (das wird vom Theater installiert sein), allerdings leider keinen Spotfahrer, der weiß, wer da was macht. Immer wieder steht der ein oder andere im Dunkeln, was meist nichts ausmacht (die Band bewegt sich letztlich nicht viel). Aber warum Ian dann öfters richtig lange keinen Spot hat (einmal musste ich ihn echt suchen, er saß -flötend- auf dem Drum Riser), das verstehe wer will. Kein wesentliches Manko, ich weiß, gehört aber nun einmal zu einer „Show“ dazu.

Kommen wir zur Musik. Die Setlist war die gleiche, wie die Tage zuvor, nach einem kurzem Intro vom Band, begann es mit „Cross-Eyed Mary“ und mir schwante übles: für mich ein denkbar ungünstiger Song, ein Konzert ohne Keyboard zu eröffnen. Und mir fehlte das Piano dann auch sofort. Zudem konnte man den Sound, zumindest auf dem Oberrang, nur als „unterirdisch“ bezeichnen. Die Befürchtung, dass die P.A. etwas unterdimensioniert ist, schien sich zu bewahrheiten. Die ersten 3-4 Tracks waren soundtechnisch wirklich sehr durchwachsen, das klang so, als würde da irgendwo ein Kofferradio stehen und Anderson „singt“ und flötet darüber. „Harsch“ und in den oberen Mitten zerrend. Nicht schön. Gottseidank: das änderte sich im Laufe des Abends. Zwar relativ spät, aber immerhin und zur „Bourée“ hatte das Ganze dann auch ein Bass Fundament und einen Klang, der in Richtung „gut“ ging. Wobei in dem feinen Theater sicherlich mehr drin gewesen wäre und vor allem: von Anfang an!

Ans Eingemachte: das war also ein denkbar ungünstiger Start, mich doch noch mal zu überzeugen. Ich wollte nun wenigstens analysieren, wie das denn ohne Keyboards und mit zwei Gitarren funktioniert, was bei mangelnder Klangqualität eher ein Raten war. Es zeichnete sich aber ab, dass die Jungs das ganz clever machten, Jack spielte dort offene Akkorde, wo Flächen hinmussten und dann und wann ging es auch mit zweistimmigen Läufen zur Sache. Je besser der Sound wurde, desto interessanter wurde das. Ich hörte, dass das wirklich gut gemacht war und auch Joe gefiel mir immer besser und vor allem wesentlich besser als letztes Jahr in Köln – er scheint doch etwas Selbstbewusstsein getankt zu haben. Die zweite Gitarre spielte mit einigen Effekten, wahrscheinlich wurden da auch Synthie Sounds getriggert, was mal gut klappte und auch mal nicht so toll klang (Streicher bei Heavy Horses). Man merkte, dass die beiden Gitarristen sich kennen und gut harmonieren, ein absoluter Vorteil für diese Konstellation. Aus einem Guss war das alles jedoch nicht immer, besonders bei den komplizierteren Stücken stockte es öfters, was aber weniger an Jack und Joe lag, als oft genug am Gesang, auf den der Rest „warten“ musste. Das war manchmal sehr holprig. „Dark Ages“ gefiel mir in der Mitte ausgesprochen gut, was der „darlings, are you ready?“ Part dann wieder zunichte machte. So erging es mit auch bei „Farm On The Freeway“ und ein paar anderen Stücken.

Im zweiten Teil der Show war der Sound dann ordentlich (ich hatte in der Mitte des ersten Teils ernsthaft in Erwägung gezogen, in der Pause zu gehen) und einige Instrumentalparts machten richtig Spaß! Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass die beiden Stücke, zu denen ich früher immer an die Bar gegangen bin, dann noch richtig spannend wurden und mir ziemlich gut gefielen: Aquadiddley/Aqualung und Locomotive Breath sorgten wohl gerade wegen des außergewöhnlichen Line-Ups und langer Instrumentalpassagen dafür, dass die Band mal grooven konnte und quasi jammte. Das war wirklich gut und auch Jack durfte (mehrmals) ein Solo spielen! Das „Locomotive Breath“ Intro alleine mit der Gitarre hätte ich mir noch ein wenig dynamischer und nicht so runtergespielt gewünscht, aber sonst war das auf einmal (fast) großes Kino!
Was ich nicht ganz verstehe: Joe steigt also aus, weil er sich auf seine eigene Band „Albion“ konzentrieren möchte, dafür steigt Jack ein, der ebenfalls und weiterhin bei „Albion“ spielt?! Hm, ok.

Fazit: natürlich ist meine Messlatte für ein Ian Anderson Band Konzert in 2024 ziemlich weit unten, aber immerhin: die Erwartungen wurden (knapp) erfüllt, insofern kann ich nicht unzufrieden sein. Und ich bereue es nicht, auf mein letztes Konzert noch eins draufgelegt zu haben. Ob noch eins folgt? Ich glaube eher nicht, es sei denn, es gibt nochmal ein „Zeichen“ und einen Zufall. Solange freue ich mich auf eine Under Wraps Box!

Dauer des Konzertes: ca. 1h 40 (plus 20 Min. Pause)

Setlist: Cross-Eyed Mary, We Used to Know, Heavy Horses, Weathercock, Roots to Branches, Holly Herald, Wolf Unchained, Mine Is the Mountain, Bouree, (intermission), Farm on the Freeway, The Navigators, Warm Sporran, Mrs Tibbets, Dark Ages, Aquadiddley/Aqualung, Locomotive Breath, Cheerio (outro tape)

cheers,
Laufi
"Du hast wohl nen nassen Helm auf!"

http://www.laufi.de
Thomas
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Re: Palma Auditorium 24. Februar 2024

Beitrag von Thomas »

Das ist (sehr) fein beobachtet :D
Danke.
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Dietmar
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Registriert: Mi Aug 04, 2004 9:31 pm
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Re: Palma Auditorium 24. Februar 2024

Beitrag von Dietmar »

Auch von mir Danke für den schönen, ausführlichen Konzertbericht..... früher gab es sowas nur gedruckter (oder zumindest kopierter) Form.... :D .... aber früher war bekanntlich eh mehr Lametta.... :mrgreen: :wink:
Thomas
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Re: Palma Auditorium 24. Februar 2024

Beitrag von Thomas »

Noch einer! :lol:
Sollen wir einen Loriot Thread aufmachen? :wink:
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