Konzertkritik aus Hannoversche Allgemeine Zeitung 20.6.2005
Verfasst: Mi Jun 22, 2005 10:08 am
Hallo zusammen,
eigentlich wollte ich das hier nicht tun, aber es schult mal wieder die eingerosteten Finger.
Ich schreibe mal aus der Zeitung ab:
Tull und Bier und Wir
Im Herzen sind wir doch alle jung. Die britische Band Jethro tull in Hannover.
Pizza! Ausgerechnet! Gleich vorne im Eingangsbereich der Gilde-Parkbühne steht ein Pizzastand. An dem Zeug haben wir uns in den Siebzigern praktisch überfressen. Schräg gegenüber wird Erbbeerbowle angeboten, erfrischend kalt und köstlich, steht auf dem Schild. Klingt auch nach den Siebzigern. Da könnten sie ebenso Persiko verkaufen.
So etwa 1977 muss das gewesen sein. Pizza, Persiko, Jethro tull und wir bildeten eine Einheit. Gut, Bier gabs auch, Bier gibt es ja immer. Damals spielten Jethro Tull in der stadthalle, und wenn man nach Konzertbeginn gleich wieder rausging und sich auf die Stufen ins Freie setzte, hatte man gute Chancen einem Gehörschaden zu entgehen. Jetzt sind wir wieder alle da, vielleicht ein paar weniger, im hinteren Bereich des Geländes wird es dünne wie vorne auf den Häuptern der Männer. Aber Rocker sind wir immer noch, auch wenn die Bäuche schon lange nicht mehr auf den Motorradtank passen (Bier gibt es ja immer). Ein ganz Verwgener trägt zur Lederweste sein ergrautes Brusthaar zur Schau. Manche haben nicht mitbekommen, dass das Verbot, sich die Haare schneiden zu lassen, Anfang der achtziger aufgehoben worden ist. Auf der Tribüne sitzt einer in Reihe 7 mit einem blauen Puma-Shirt, der hat sich seit damals auch nicht mehr rasiert. Nur die Frauen sind immer noch so schön wie früher.
Jethro Tull war mal eine Supergruppe. Heute sind die 5 Musiker eine super Gruppe. Von der Urbesetzung ist nur noch Frontmann Ian Asderson(genau: der, der beim Querflötespielen tagelang asuf einem Bein stehen kann) übrig, und von der Zweitbesetzung Gitarrist Martin Barre.
Aber sie sind Helden. Jedenfalls unsere. Rockig, aber kunstvoll, einfallsreich und verspielt und klassisch angehaucht, nicht dieser künstliche Mist aus dem Hitlabor, den die Jugend von heut so hört, und - nee, soo laut sind sie nicht mehr. Was den Vorteil hat, Dass diejenigen von uns, die den Nachwuchs mitgebracht haben, mit Sätzen wie "Das ist jetzt Up to me von Aqualung, das war 71, unterschätztes Stück" Kompetenz beweisen können, ohne schreien zu müssen. Die meisten schicken ihre Kinder aber nur zum Bierholen. Das ist den Kindern auch lieber.
Anderson und seine Tulls beginnen mit My sunday feeling vom ersten Album This was von 1968 und arbeiten sich vehement bis 1977 vor. Und, jau!, sie spielen Thick as a brick - die Kurzfassung. Eigentlich besteht die ganze Platte aus einem einzigen kunstvollst gedrechsteltem Stück, 40 Minuten, und wenn der Klassenlehrerbei den Klassenfahrtenfeten damals gegen halb 11 meinte "ein Lied noch" sagen zu müssen, dann legte man halt Thick as a brick auf, das hatte er davon.
Anderson ist Jahrgang 1947, seine Stimme ist kaum nachgedunkelt, nur ein bisschen Volumen hat sie verloren, aber dafür haben wir alle an Volumen gewonnen. Er singt auch nicht nur ins Mikrofon, sondern ebenso in seine Querflöte, und er schmatzt hinein, stöhnt und schnalzt und lacht, und wir lachen mit ihm. Er ist selbstironisch, das sind wir auch, bloss nicht alle. Vorne links steht einer, Anwalt oder Artzt oder Architekt, dem reisst manchmal der Rhytmus ganz kurz ein Bein weg, aber dann steht er wieder in seinen Designerklamotten ganz gesettelt da, jeder Zoll ein erfolgreicher Chef und beherrscht. Gott ist das traurig, denken wir.
Viele tanzen längst. Ab 21:54 Uhr sagt Ian Anderson die Stücke nicht mehr an, von jetzt an ist richtig Party.
Sie verausgaben sich an Budapest und dann endlich kommt Aqualung und zwei Meter weiter steht echt einer in Latzhose. vor dem Zugabenblock gehen wir noch schnell zum Eingang, Pizza holen. Und Bier. Im Herzen sind wir doch alle jung.
von Bert Strebe
Puh, geschafft.
Meinungen?
Mir fehlen einfach die Worte.
Gruss
Tom
eigentlich wollte ich das hier nicht tun, aber es schult mal wieder die eingerosteten Finger.
Ich schreibe mal aus der Zeitung ab:
Tull und Bier und Wir
Im Herzen sind wir doch alle jung. Die britische Band Jethro tull in Hannover.
Pizza! Ausgerechnet! Gleich vorne im Eingangsbereich der Gilde-Parkbühne steht ein Pizzastand. An dem Zeug haben wir uns in den Siebzigern praktisch überfressen. Schräg gegenüber wird Erbbeerbowle angeboten, erfrischend kalt und köstlich, steht auf dem Schild. Klingt auch nach den Siebzigern. Da könnten sie ebenso Persiko verkaufen.
So etwa 1977 muss das gewesen sein. Pizza, Persiko, Jethro tull und wir bildeten eine Einheit. Gut, Bier gabs auch, Bier gibt es ja immer. Damals spielten Jethro Tull in der stadthalle, und wenn man nach Konzertbeginn gleich wieder rausging und sich auf die Stufen ins Freie setzte, hatte man gute Chancen einem Gehörschaden zu entgehen. Jetzt sind wir wieder alle da, vielleicht ein paar weniger, im hinteren Bereich des Geländes wird es dünne wie vorne auf den Häuptern der Männer. Aber Rocker sind wir immer noch, auch wenn die Bäuche schon lange nicht mehr auf den Motorradtank passen (Bier gibt es ja immer). Ein ganz Verwgener trägt zur Lederweste sein ergrautes Brusthaar zur Schau. Manche haben nicht mitbekommen, dass das Verbot, sich die Haare schneiden zu lassen, Anfang der achtziger aufgehoben worden ist. Auf der Tribüne sitzt einer in Reihe 7 mit einem blauen Puma-Shirt, der hat sich seit damals auch nicht mehr rasiert. Nur die Frauen sind immer noch so schön wie früher.
Jethro Tull war mal eine Supergruppe. Heute sind die 5 Musiker eine super Gruppe. Von der Urbesetzung ist nur noch Frontmann Ian Asderson(genau: der, der beim Querflötespielen tagelang asuf einem Bein stehen kann) übrig, und von der Zweitbesetzung Gitarrist Martin Barre.
Aber sie sind Helden. Jedenfalls unsere. Rockig, aber kunstvoll, einfallsreich und verspielt und klassisch angehaucht, nicht dieser künstliche Mist aus dem Hitlabor, den die Jugend von heut so hört, und - nee, soo laut sind sie nicht mehr. Was den Vorteil hat, Dass diejenigen von uns, die den Nachwuchs mitgebracht haben, mit Sätzen wie "Das ist jetzt Up to me von Aqualung, das war 71, unterschätztes Stück" Kompetenz beweisen können, ohne schreien zu müssen. Die meisten schicken ihre Kinder aber nur zum Bierholen. Das ist den Kindern auch lieber.
Anderson und seine Tulls beginnen mit My sunday feeling vom ersten Album This was von 1968 und arbeiten sich vehement bis 1977 vor. Und, jau!, sie spielen Thick as a brick - die Kurzfassung. Eigentlich besteht die ganze Platte aus einem einzigen kunstvollst gedrechsteltem Stück, 40 Minuten, und wenn der Klassenlehrerbei den Klassenfahrtenfeten damals gegen halb 11 meinte "ein Lied noch" sagen zu müssen, dann legte man halt Thick as a brick auf, das hatte er davon.
Anderson ist Jahrgang 1947, seine Stimme ist kaum nachgedunkelt, nur ein bisschen Volumen hat sie verloren, aber dafür haben wir alle an Volumen gewonnen. Er singt auch nicht nur ins Mikrofon, sondern ebenso in seine Querflöte, und er schmatzt hinein, stöhnt und schnalzt und lacht, und wir lachen mit ihm. Er ist selbstironisch, das sind wir auch, bloss nicht alle. Vorne links steht einer, Anwalt oder Artzt oder Architekt, dem reisst manchmal der Rhytmus ganz kurz ein Bein weg, aber dann steht er wieder in seinen Designerklamotten ganz gesettelt da, jeder Zoll ein erfolgreicher Chef und beherrscht. Gott ist das traurig, denken wir.
Viele tanzen längst. Ab 21:54 Uhr sagt Ian Anderson die Stücke nicht mehr an, von jetzt an ist richtig Party.
Sie verausgaben sich an Budapest und dann endlich kommt Aqualung und zwei Meter weiter steht echt einer in Latzhose. vor dem Zugabenblock gehen wir noch schnell zum Eingang, Pizza holen. Und Bier. Im Herzen sind wir doch alle jung.
von Bert Strebe
Puh, geschafft.
Meinungen?
Mir fehlen einfach die Worte.
Gruss
Tom