Nightcap hat geschrieben:Es scheint so, als ob es auch bei ihm eine deutliche EU-Müdigkeit gibt.
Das mag so sein, aber was bedeutet "EU-Müdigkeit"?
Die ganze Brexit-Geschichte ist voll von diesem Begriff, aber erklärt wird er in den seltensten Fällen. Meine "EU-Müdigkeit" hat was mit Bürokraten, Lobbyisten (wieder eine US-amerikanische Gepflogenheit, die man an den europäischen Grenzen hätte abweisen sollen) und einer Selbstbedienungsmentalität von mir unbekannten Leuten zu tun, die über die Europäische Kommission Bestimmungen erlassen, die von demokratisch nicht autorisierten Bürokraten erlassen werden, um die Interessen derjenigen zu befriedigen, die dafür zahlen können. Ich erspare es Euch und mir jetzt den Katalog der entsprechenden Konzerne herunter zu beten.
Nicht müde geworden bin ich eines Europas (oder einer EU), in der ich von Hamburg bis Hoek van Holland fahren kann, ohne auch nur einmal anhalten zu müssen - es sei denn, ich muss mal; eine EU, die es mir ermöglicht hat, meine Wohnung aufzulösen, mich in mein Auto zu setzen und nach Großbritannien zu reisen, um mir dort einen Job und ein Haus zu suchen und ein paar glückliche Jahre auf der Insel zu verbringen - und der NHS hat mir einen nie ausgewachsenen Zahn aus dem oberen Wangenbereich operiert, ohne dass ich auch nur einmal eine Krankenkassenkarte vorzeigen geschweige denn eine Selbstbeteiligung leisten musste. Das ist für mich die EU und der werde ich nicht müde. Und dass es Menschen gibt, die sich aus bitterster Armut und gesellschaftlicher Ächtung heraus der Reisefreiheit bedienen, um sich einen Vorteil für ihr Leben zu verschaffen, kann ich reicher deutscher Sack kaum verurteilen.
Es sind Vereinfachungen wie "EU-Müdigkeit", an der Europa bzw. die EU scheitern wird. Und das war schon immer so:
Jonathan Lynn/Antony Jay hat geschrieben:The Honourable James Hacker, MP, Minister for Administrative Affairs:
"I'm not like you, Humphrey. I'm pro-Europe, just anti-Brussels. I sometimes think you're anti-Europe and pro-Brussels."
Sir Humphrey Appleby, Secretary of the DAA, the Civil Service Head of the Department of Administrative Affairs:
"Oh, Minister, I'm neither pro- nor anti- anything. I'm merely a humble vessel into which ministers pour the fruits of their deliberations. But it could well be argued that given the absurdity of the whole European idea, that Brussels intends to doing its best to defend the indefensible and make the unworkable work."
Hacker: "That is simply not true, Humphrey! Without sounding pompous but the European ideals are the best hope of avoiding narrow national self-intereset."
Appleby: "It doesn't sound pompous, Minister..."
Hacker: "Good."
Appleby: "... merely inaccurate."
Hacker: "Listen, humble vessel, Europe is a community of nations dedicated towards one goal."
Appleby: "(laughs)"
Hacker: "May we share the joke?"
Appleby: "Oh, Minister, let's look at this objectively. It is a game played for national interests and always was. Why do you suppose we went into it?"
Hacker: "To strengthen the brotherhood of the free Western nations."
Appleby: "Oh really. We went into it to screw the French by splitting them off from the Germans."
Hacker: "Why did the French go in?"
Appleby: "To protect their inefficent farmers from commercial competition."
Hacker: "That certainly didn't apply to the Germans."
Appleby: "No, they went into it to cleanse themselves of genocide and apply for re-admission to the human race."
Yes Minister, Series Two, "The Devil You Know", March 1981
Ziemlich lustig, ziemlich zynisch und genau die Einstellung, die heute vorrangig vorgebracht wird, wenn es um die EU bzw. ein vereinigtes Europa geht. Und durchaus nicht unberechtigt, denn Brüssel hat sich nicht zum Guten verändert, eher im Gegenteil. Das Ideal und die damit verbundenen Vorteile bleiben aber bestehen.
Damals war die EU natürlich noch die EWG (noch nicht einmal die EG) und relativ klein. Und obwohl sie ihre Probleme damals schon nicht lösen konnte, wollte sie unbedingt die EU-Erweiterung aus geostrategischen und wirtschaftlichen Gründen. Ein großer Fehler. Meine Meinung war schon immer die, dass nur Länder mit einer soliden und funktionierenden Zivilgesellschaft in die EU aufgenommen werden sollten. Dass man Beitrittskandidaten in dieser Beziehung jede Hilfe zukommen lassen sollte, versteht sich von selbst. Die Europäische Kommission hat im Sinne ihrer Markterweiterung darauf geschissen und nun haben wir den Salat. In Polen kämpft die Zivilgesellschaft gegen den Restkartoffelzwilling ums Überleben, Tschechien gefällt sich als "Heile Welt", Ungarn ist eine Diktatur und Rumänien und Bulgarien scheinen korrupter als zu Sowjetzeiten.
Und nachdem ich den Dialog von Hacker und Humpy von meiner DVD abgehört und aufgeschrieben habe, fällt mir nun die moderne Welt wieder ein. Bollocks! Geht ungefähr bei 2:00 los.
https://www.youtube.com/watch?v=Tg2gEvtr480
KH