Whistling Catfish hat geschrieben:Hier ein recht interessanter Artikel über das Cover von Aqualung aus der FB-Tull Gruppe. Ich persönlich bin der Meinung, dass die Familie Silverman hier keinerlei Ansprücheanmelden kann, aber unabhängig davon, ist es eine recht interessante Lektüre.
https://theoutline.com/post/4490/jethro ... i=bm6mtbcn
Ich möchte den zutreffenden Eindruck, den Herr Katzenfisch hat, einmal juristisch untermauern und bin sogar der Ansicht, dass die Vorwürfe und Wertungen der Familie Silverman im Ergebnis haltlos sind. Wem das jetzt wie ein Rechtsgutachten vorkommt, der liegt nicht ganz falsch. Ich gehe der Einfachheit halber davon aus, dass sich weder das US-amerikanische noch das britische Urheberrecht von den deutschen Regelungen wesentlich unterscheiden, soweit es um die hier zu beurteilenden Fragen handelt. Alles Folgende basiert auf dem deutschen Recht.
Zunächst ist festzustellen, dass das Urheberrecht eine Fülle von Teilrechten beinhaltet. Hier geht es offensichtlich um das Verbreitungs- und Vervielfältigungsrecht sowie vorgelagert um die grundsätzliche Frage der Vertragsauslegung. Laien meinen oft, es gäbe keinen Vertrag, wenn nichts schriftlich fixiert ist. Das ist falsch, denn Verträge gelten grundsätzlich mündlich.
B. Silverman und Terry Ellis kommen mindestens dahingehend überein, dass Silverman bestimmte Leistungen gegen Entgelt erbringt und seine Werke zur Verbreitung und Vervielfältigung via Plattencover zur Verfügung stellt. Für wen handelt Ellis? Für sich selbst? Wohl kaum, so dass Andersons Auffassung in dem wiedergegebenen Schreiben, er habe mit der Sache nichts zu tun, so ganz unzweifelhaft nicht ist. Terry Ellis wird entweder als Manager von Jethro Tull für die Band bzw. IA oder als Chairman von Chrysalis für die Plattenfirma gehandelt haben. Ich gehe stark davon aus, dass letztere Auslegung zutreffend ist. Hier ging es um die Verpackung eines Produkt von Chrysalis, üblicherweise Sache der Plattenfirma, so dass Silverman davon ausgegangen sein dürfte, mit Chrysalis ins Geschäft zu kommen. Letzte Klarheit würde der (nicht bekannte) Honorarscheck bringen. Ich gehe anhand der mir vorliegenden Informationen von einem Vertrag zwischen Silverman und Chrysalis aus. Interessant -aber hier das Thema sprengend- wäre zu erfahren, wieso IA das Artwork (vermutlich unentgeltlich) nutzen kann. Hat er die Rechte von Chrysalis erworben? Hat Ellis doch für Ian und nicht für Chrysalis gehandelt?
Was ist Vertragsgegenstand? Offenbar sind Einzelheiten nicht besprochen worden, so dass man allgemeine Kriterien heranziehen muss. § 31 Absatz 5 UrhG bestimmt ganz allgemein, dass der Umfang des Nutzungsrechts sich mangels ausdrücklicher Regelung nach dem Zweck des Vertrages richtet. Silverman argumentiert, er habe lediglich der Nutzung seiner Werke für ein Albumcover zustimmen wollen. Wie musste Ellis das verstehen? Auch Ende 1970 spielte das sog. Artwork eine zentrale Rolle bei der Vermarktung einer LP und einer Band (Biografien, Pressemappen, Zeitungsanzeigen, TV-Werbung, Poster etc.) Ellis/Chrysalis mussten daher mangels entgegenstehender Bekundungen von Silverman davon ausgehen, dass alle diese Zwecke von der Lizenz mit umfasst waren. Es würde überhaupt keinen Sinn machen, einer Plattenfirma das Recht zur Verbreitung via Cover einzuräumen, nicht aber das Recht zur Bewerbung des Produkts. Das halte ich für zweifelsfrei.
Sonderthema Merch. Nun könnte man so argumentieren, dass Merchendise etwas völlig anderes sei. Silverman hat Chrysalis umfassende Nutzungsrechte eingeräumt, soweit es um den Vertrieb der LP geht, nicht aber der Band das Recht zur Werbung in eigener Sache. So sieht es offenbar Silverman. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass es damals auch schon Merch gab und es absolut nahe lag, das Cover einer LP auf T-Shirts und Tourprogramme zu drucken. Letztlich ist egal, was Silverman sich im Geheimen gedacht haben mag. Entscheidend ist der Vertragszweck, der m.E. auch das Recht beinhaltet, T-Shirts etc. zu vertreiben. Das das war auch 1970 die typische Promotion. Die LP warb für die Tournee der Band, und die Band warb auf ihrer Tournee für die LP. Silvermans Rechtsauffassung geht daher an der Realität vorbei. Anderson schreibt in seinem Brief noch, er könne sich mangels schriftlicher Regelungen nicht vorstellen, dass Silverman sich bestimmte Nutzungsarten vorbehalten habe. Das ist ein zentrales Argument. Wer nichts sagt, erklärt sich mit der üblichen Nutzung eines Kunstwerks, das ein LP-Cover ziert, einverstanden. Sonst muss er sich bestimmte Rechte -was ohne weiteres möglich ist- vorbehalten oder zusätzlich vergüten lassen.
Nach alledem hat B. Silverman alle Rechte übertragen, die mit einer "üblichen" Nutzung eines Covers einhergehen, es sei denn, aus dem Honorar ergibt sich etwas anderes. Hier verweist Anderson auf ähnliche Beträge, die er anderen Künstlern gezahlt hat, so dass ich dies einmal akzeptieren möchte. Damit ist auch zugleich festgestellt, dass es kein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung etwa im Sinne einer Sittenwidrigkeit gegeben hat. Silverman hat sein Honorar und noch einen längeren London-Aufenthalt (sicher Flug und Hotel) bezahlt bekommen. Er war etwa 20 Jahre älter als Anderson/Ellis und auf seinem Gebiet ein erfahrener Künstler, so dass bereits nicht im Ansatz ersichtlich ist, dass er übervorteilt worden sein soll. Und er argumentiert vom Ergebnis her, quasi ex post, obwohl man bei der Frage der Vertragsauslegung auf die seinerzeitige Kenntnis der Parteien abstellen muss. Es mag sein, dass das Honorar zu gering ist, wenn man sich den immensen Erfolg von Aqualung rückblickend anschaut. Aber das war Ende 1970 alles andere als sicher. Ian hat mehrfach die eigene Unsicherheit in dieser entscheidenden Phase beschrieben. Man schaue sich die in den USA Anfang 1971 gebuchten Hallen und Theater an. Da hat niemand damit rechnen können, dass Tull am Ende des Jahres im Madison Square Garden angekommen sein würden. Tull waren 1970 keine Superstars, Aqualung hat sie -sicher auch dank der tollen Arbeit von B. Silverman- erst dazu gemacht.
Fazit: Ich kann verstehen, dass die Familie Silverman sich unwohl fühlt. Sicher war das keine kommerzielle Sternstunde für den Künstler. Ian Anderson jedoch Vorwürfe zu machen, die ganz klar in die Richtung gehen, er habe den Künstler über den Tisch gezogen, ist juristisch -und das ist entscheidend- absolut haltlos. Anderson hat halt ein gutes und Silverman ein schlechtes Geschäft gemacht. Jeder Künstler hätte damals aber m.E. ein schlechtes Geschäft gemacht, weil er an einen solchen Megaerfolg gar nicht gedacht hätte.
Man kann aus dieser Geschichte viel lernen. Im Zweifel ist es immer besser, bei Verträgen von einigem Gewicht schriftliche Regelungen vorzunehmen. Und man sollte nicht vorschnell alle möglichen Rechte für immer aus der Hand geben. Wer von Euch vielleicht die Band um die Ecke mit Fotos, Grafiken oder ähnlichem unterstützen möchte, kann das ja so machen, dass er sich ein (besseres) Honorar vorbehält, das an bestimmte wirtschaftliche Kriterien geknüpft ist. Kommt der kommerzielle Erfolg, fließt Kohle. Es gibt eben kein allgemeines Recht, einen Vertrag an geänderte wirtschaftliche Bedingungen anzupassen. Mit jedem Vertrag oder auch jeder Gefälligkeit geht die Einschätzung über die künftige Entwicklung einher, für die jeder selbst verantwortlich ist. Wenn ich z.B. einer unbekannten Band die Nutzung eines Videos von mir einschränkungslos und unentgeltlich gestatte, gälte dies auch für den unwahrscheinlichen Fall, dass es sich um die neuen Nirvana handeln würden. Aber da kann man sich -wie beschrieben- absichern.
https://www.gesetze-im-internet.de/urhg ... 30965.html
Prof. Dr. iur Marengo