Arnstadt und Frankfurt
Verfasst: Di Dez 03, 2019 5:31 pm
So, mal ein paar Sätze zu einem für mich wunderschönen Wochenende.
Arnstadt 29.11.2019
Ein verschlafenes Städtchen südlich von Erfurt, dessen Einwohnern eine gewisse Komik nicht abzusprechen ist. Aus einer Fensterscheibe in der Altstadt schaute mich listig-verschmitzt ein kleines Plakat an, welches lautete:
„Aus privaten Gründen sind wir heute zu“.
Hahaha, liebe Kundinnen und Kunden, aus privaten Gründen bin ich heute total dicht! Großartig! Daraufhin wäre ich um ein Haar ins Bratwurstmuseum gegangen, aber das wäre too much of a good thing gewesen.
Nach dieser kleinen Erheiterung weiter im Text. Die Bachkirche ist ein sehr interessanter Barockbau, von außen eigentlich nichts Besonderes, innen allerdings mit Holzpfeilern und zwei ebenfalls hölzernen Galerien ausgestattet, gediegen weiß gestrichen. Eine absolut fette PA versprach großartigen Sound, und diese Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Durch das hölzerne Innenleben klang es auch eher wie in einem Konzertsaal als in einer Kirche. Jethro Tull in diesem Ambiente ist -von einigen kitschigen Momenten abgesehen- sehr stimmungsvoll. Ich war vor Jahren in St. Albans bei einem Christmas Concert, das mir seinerzeit bereits gut gefallen hatte, aber Arnstadt war unbeschreiblich schön. Ian plus Band toll aufgelegt, spontan, mit tollen Bach-Referenzen, einem Chor und einer Stückauswahl, die es in sich hatte. Lange nicht mehr gehört und doch wiedererkannt wurde z.B. Life’s a long Song, Jack-in-the-Kreen und, would you believe, Up the `Pool. Plus ein ganz toller Christmas Song, I believe in Father Christmas (Greg Lake) und einige selten gespielte Songs vom Christmas Album. Natürlich durften auch die „üblichen Verdächtigen“ (My God, Aquadiddley und Loco) nicht fehlen, obwohl ich die nicht gebraucht hätte.
Ich gehöre ja von Kindesbeinen an eher zur „Lederjackenfraktion“ der Tull-Fans und die Band war mir lärmend und scheppernd immer am liebsten. Von daher waren meine Erwartungen eigentlich nicht besonders hoch. Aber was Ian & Co hier geboten haben, war einfach nur wunderschön. Ians Stimme kommt bei akustischen und semiakustischen Sachen viel besser zur Geltung. Ja, es war die zerschossene Stimme eines alten Mannes, die dennoch Ausdruck hatte. IA konnte sogar ein wenig an die alten Phrasierungen anknüpfen. Das hat mich am meisten überrascht. Hier stand ein immer noch ganz Großer auf der Bühne, dem ich stundenlang hätte zuhören können und dessen Stimme ich persönlich trotz aller Defizite nicht missen möchte. Geil z.B.
„You're missing the point I'm sure does not need making”
Dazu Mutterwitz, Faxen und Grimassen wie in allerbesten Tagen. Der Mann hatte einen Riesenspaß und war sichtlich beeindruckt, ja gerührt, in der Kirche musizieren zu dürfen, wo Bach seine erste Organistenstelle hatte. Dies hat Ian auch in Frankfurt erwähnt.
FFM 30.11.2019
Frankfurt am Main, meine alte Heimat aus Kindertagen und Hochburg des organisierten Verbrechens (Deutsche Bank, Commerzbank, EZB usw.), war vielleicht trotz typischer verhallter Kirchenakustik noch einen Tacken besser. Die Katharinenkirche, schwer kriegszerstört, ist von innen schmucklos, von außen aber eine barocke gleichermaßen schlichte wie anmutige Schönheit direkt gegenüber der Hauptwache. Frankfurt hat sich ja mit seinem zerstörten steinernen Erbe viel schwerer getan als andere Städte. Ich kann mich z.B. noch daran erinnern, dass so um 1970 herum die Alte Oper teilweise noch eine rußgeschwärzte Fassade hatte. In den letzten Jahren entstand eine disneyesque Pseudo-Altstadt. Warum man das kulturgeschichtlich bedeutsame Innere der Kirche nicht wiederhergestellt hat, vermag ich nicht zu sagen. Geld gibt's in FFM doch genug.
Das Konzert unter dem Motto „On the Road to Bethlehem“ ging in der richtigen Reihenfolge –in Arnstadt gab’s Probleme und eine ungeplante Pause- und ohne gerissene Saiten oder andere Schwierigkeiten glatt über die Bühne. Ein geradezu andächtiges Publikum (aus Reihe 3 wahrgenommen) und ein absolut charmanter und lustiger Opi, der manch kniffeliges Stück am Ende selbstironisch kommentiert hat (yeah, right etc.), so als sei er selbst ob des Gelingens überrascht. Und mit olle Carsten und noch viel ollere Martin, mit Waltraud, Guido, dem Besi, Kalle etc. war’s halt nochmal so schön. Carsten kam gar nicht darüber hinweg, dass der Kapo bei Life's a Long Song auf dem siebten Bund war:-) Am Schluss hat Mikey Downs die Katharienenkirche offenbar mit der Festhalle verwechselt. Jedenfalls war es vorne knackelaut, was aber primär an der Beschallung lag (old school, d.h. kein Line Array und somit vorne laut).
In beiden Konzerten kamen traditionsgemäß auch die Pastoren zu Wort. Den Olaf Lewerenz aus Frankfurt hat Ian ganz offensichtlich ins Herz geschlossen und sehr witzig in die spirituellen Teile der Veranstaltung eingeführt und z.B. schelmisch gefragt, ob Olaf denn nach jeder Predigt so viel Applaus bekommen würde. Großes Kino. Herrn Lewerenz hat das Ganze sichtlich gefallen.
Schön fand ich auf beiden Konzerten die Ansage, dass nicht gefilmt und fotografiert werden darf verbunden mit dem Appell, dass Ian, wenn alle brav sich daran halten würden, gegen Ende des Konzerts Fotos erlauben würde. Alle including myself waren nach dieser Einladung auch ganz brav und Loco wurde folgerichtig zum Abschuss freigegeben. Der Opi kann, wenn er gut gelaunt ist, richtig smart sein und hat dann vor dem einen oder anderen und auch meinem Smartphone ein paar coole Moves hingelegt. Das Ganze hatte er auch schon, allerdings ohne Ankündigung, während der Tour in Magdeburg so gehalten und zum Teil richtig posiert, nach der Verbeugung mit Fingerzeig in mein Huawei. Cooles Video. Scheint bei ihm aber wirklich eine Frage der Tagesform zu sein.
Die Tull Xmas Shows sind uneingeschränkt zu empfehlen. See ya next year?
Arnstadt 29.11.2019
Ein verschlafenes Städtchen südlich von Erfurt, dessen Einwohnern eine gewisse Komik nicht abzusprechen ist. Aus einer Fensterscheibe in der Altstadt schaute mich listig-verschmitzt ein kleines Plakat an, welches lautete:
„Aus privaten Gründen sind wir heute zu“.
Hahaha, liebe Kundinnen und Kunden, aus privaten Gründen bin ich heute total dicht! Großartig! Daraufhin wäre ich um ein Haar ins Bratwurstmuseum gegangen, aber das wäre too much of a good thing gewesen.
Nach dieser kleinen Erheiterung weiter im Text. Die Bachkirche ist ein sehr interessanter Barockbau, von außen eigentlich nichts Besonderes, innen allerdings mit Holzpfeilern und zwei ebenfalls hölzernen Galerien ausgestattet, gediegen weiß gestrichen. Eine absolut fette PA versprach großartigen Sound, und diese Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Durch das hölzerne Innenleben klang es auch eher wie in einem Konzertsaal als in einer Kirche. Jethro Tull in diesem Ambiente ist -von einigen kitschigen Momenten abgesehen- sehr stimmungsvoll. Ich war vor Jahren in St. Albans bei einem Christmas Concert, das mir seinerzeit bereits gut gefallen hatte, aber Arnstadt war unbeschreiblich schön. Ian plus Band toll aufgelegt, spontan, mit tollen Bach-Referenzen, einem Chor und einer Stückauswahl, die es in sich hatte. Lange nicht mehr gehört und doch wiedererkannt wurde z.B. Life’s a long Song, Jack-in-the-Kreen und, would you believe, Up the `Pool. Plus ein ganz toller Christmas Song, I believe in Father Christmas (Greg Lake) und einige selten gespielte Songs vom Christmas Album. Natürlich durften auch die „üblichen Verdächtigen“ (My God, Aquadiddley und Loco) nicht fehlen, obwohl ich die nicht gebraucht hätte.
Ich gehöre ja von Kindesbeinen an eher zur „Lederjackenfraktion“ der Tull-Fans und die Band war mir lärmend und scheppernd immer am liebsten. Von daher waren meine Erwartungen eigentlich nicht besonders hoch. Aber was Ian & Co hier geboten haben, war einfach nur wunderschön. Ians Stimme kommt bei akustischen und semiakustischen Sachen viel besser zur Geltung. Ja, es war die zerschossene Stimme eines alten Mannes, die dennoch Ausdruck hatte. IA konnte sogar ein wenig an die alten Phrasierungen anknüpfen. Das hat mich am meisten überrascht. Hier stand ein immer noch ganz Großer auf der Bühne, dem ich stundenlang hätte zuhören können und dessen Stimme ich persönlich trotz aller Defizite nicht missen möchte. Geil z.B.
„You're missing the point I'm sure does not need making”
Dazu Mutterwitz, Faxen und Grimassen wie in allerbesten Tagen. Der Mann hatte einen Riesenspaß und war sichtlich beeindruckt, ja gerührt, in der Kirche musizieren zu dürfen, wo Bach seine erste Organistenstelle hatte. Dies hat Ian auch in Frankfurt erwähnt.
FFM 30.11.2019
Frankfurt am Main, meine alte Heimat aus Kindertagen und Hochburg des organisierten Verbrechens (Deutsche Bank, Commerzbank, EZB usw.), war vielleicht trotz typischer verhallter Kirchenakustik noch einen Tacken besser. Die Katharinenkirche, schwer kriegszerstört, ist von innen schmucklos, von außen aber eine barocke gleichermaßen schlichte wie anmutige Schönheit direkt gegenüber der Hauptwache. Frankfurt hat sich ja mit seinem zerstörten steinernen Erbe viel schwerer getan als andere Städte. Ich kann mich z.B. noch daran erinnern, dass so um 1970 herum die Alte Oper teilweise noch eine rußgeschwärzte Fassade hatte. In den letzten Jahren entstand eine disneyesque Pseudo-Altstadt. Warum man das kulturgeschichtlich bedeutsame Innere der Kirche nicht wiederhergestellt hat, vermag ich nicht zu sagen. Geld gibt's in FFM doch genug.
Das Konzert unter dem Motto „On the Road to Bethlehem“ ging in der richtigen Reihenfolge –in Arnstadt gab’s Probleme und eine ungeplante Pause- und ohne gerissene Saiten oder andere Schwierigkeiten glatt über die Bühne. Ein geradezu andächtiges Publikum (aus Reihe 3 wahrgenommen) und ein absolut charmanter und lustiger Opi, der manch kniffeliges Stück am Ende selbstironisch kommentiert hat (yeah, right etc.), so als sei er selbst ob des Gelingens überrascht. Und mit olle Carsten und noch viel ollere Martin, mit Waltraud, Guido, dem Besi, Kalle etc. war’s halt nochmal so schön. Carsten kam gar nicht darüber hinweg, dass der Kapo bei Life's a Long Song auf dem siebten Bund war:-) Am Schluss hat Mikey Downs die Katharienenkirche offenbar mit der Festhalle verwechselt. Jedenfalls war es vorne knackelaut, was aber primär an der Beschallung lag (old school, d.h. kein Line Array und somit vorne laut).
In beiden Konzerten kamen traditionsgemäß auch die Pastoren zu Wort. Den Olaf Lewerenz aus Frankfurt hat Ian ganz offensichtlich ins Herz geschlossen und sehr witzig in die spirituellen Teile der Veranstaltung eingeführt und z.B. schelmisch gefragt, ob Olaf denn nach jeder Predigt so viel Applaus bekommen würde. Großes Kino. Herrn Lewerenz hat das Ganze sichtlich gefallen.
Schön fand ich auf beiden Konzerten die Ansage, dass nicht gefilmt und fotografiert werden darf verbunden mit dem Appell, dass Ian, wenn alle brav sich daran halten würden, gegen Ende des Konzerts Fotos erlauben würde. Alle including myself waren nach dieser Einladung auch ganz brav und Loco wurde folgerichtig zum Abschuss freigegeben. Der Opi kann, wenn er gut gelaunt ist, richtig smart sein und hat dann vor dem einen oder anderen und auch meinem Smartphone ein paar coole Moves hingelegt. Das Ganze hatte er auch schon, allerdings ohne Ankündigung, während der Tour in Magdeburg so gehalten und zum Teil richtig posiert, nach der Verbeugung mit Fingerzeig in mein Huawei. Cooles Video. Scheint bei ihm aber wirklich eine Frage der Tagesform zu sein.
Die Tull Xmas Shows sind uneingeschränkt zu empfehlen. See ya next year?