A night in the wilderness...
Tull Party in Bedburg-Hau feat. JÜRGEN
HANDKE
Samstag, 28. September 1996 * Rheinische
Landesklinik * Gesellschaftshaus
von Dietmar Müller
„... und DU schreibst den Artikel über
die Tull Party..." raunzte Harald mich am Sonntagmorgen gegen 3.00 Uhr
an. Alle lallten ihre Zustimmung und ich hatte natürlich die Arschkarte
gezogen. Hätte man mir ja auch vorher sagen können... Allen BEGGAR'S
FARMERN, die nicht in Bedburg-Hau waren, sollte ich die Story dann aber
wohl doch von Anfang an erzählen ... so im Stil alter Schulaufsätze
„Mein schönstes Ferienerlebnis" ... nun denn, es war einmal ...
SAMSTAG:
8.30 Uhr - Wond'ring Aloud...
Nach ca. 50 von 350 Kilometern der Strecke
Göttingen - Bedburg-Hau (bei Kleve in der Nähe von nirgendwo...)
stellte ich mir einmal mehr die spätpubertäre Sinnesfrage „Bin
ich normal?". In Höhe Kasseler Kreuz drohte ein Platzregen gerade,
meinen schlecht bereiften Wagen und mich in den nächstbesten Graben
zu spülen. Mußte ich denn zu dieser Fete fahren? Und auch noch
allein? „Schuld" ist eigentlich Ulla, denn nach der abgesagten Convention
in Altenkirchen war diese Party die letzte reale Chance, dieses Jahr noch
etwas „Tulliges" zu erleben (daß ich Ende November noch die U.K.
Convention besuchen sollte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen).
Egal, Augen auf und durch. In Höhe Dortmund lachte dann auch wieder
die Sonne, so als ob sie sagen wollte „... Du bist zwar nicht normal, aber
mach Dir nichts draus ... fahr einfach weiter...".
11.30 Uhr - Crazed Institution...
In der Rheinischen Landesklinik angekommen,
relativierten sich meine Gedanken vom Vormittag ein wenig. Neben den Veranstaltern
Andreas und Kurt konnte ich zunächst Bert aus Zwickau begrüßen,
der bereits am Vortag nach insgesamt neun (!) Stunden Fahrtzeit angereist
war. Iris, Egon und die anderen vom Krankenhauspersonal waren bereits eifrig
bemüht, die auswärtigen Gäste in den Wohnheimen unterzubringen
sowie Saal und Bühne für den Abend vorzubereiten. Nach und nach
wurden die Stände aufgebaut und es trudelten weitere Fans ein (u.a.
Michael aus der Nähe von Magdeburg, der im Nachhinein das Thema U.K.
Convention für Marco, ihn und mich konkretisierte - thanx!).
15.00 Uhr - Something's
On The Move...
Nach einer kleinen Stärkung mit Kaffee,
belegten Broten und Erbsensuppe (starke Kombination!) kam am frühen
Nachmittag erstmals Bewegung in den Saal. Jürgen Handke war zum Soundcheck
eingetroffen. Allen, die ihn noch nicht live erlebt hatten (incl. mir),
lieferte er mit einer fulminanten Version von „Living In The Past" eine
erste Kostprobe seines Könnens. Leider war die Probe viel zu schnell
vorbei - dafür kam kurz darauf das nächste „Highlight": Unser
„Präsi" Harald war eingetroffen, zwar leider ohne seine bessere Hälfte
Melitta, dafür aber mit Gesa und Sven aus meiner Heimatstadt Bremen
(bei denen er am Freitag übernachtet hatte und von irgendwelchen Geiselbefreiungen
geträumt hat - more of that later...). Die drei teilten sich dann
einen Stand. Während Harald später bemüht war, neue BEGGAR'S
FARMER zu werben, versuchte Sven die Fans durch den Verkauf von Promos
und Bootlegs zu einer milden Gabe zu bewegen. Als ich mich später
dann mit Ulla bekannt machte („Hallo. Ich bin der Dietmar, bist Du die
Ulla?"), habe ich mir dafür von Sven den ersten Schleimpunkt des Abends
abgeholt. Danke...
18.00 Uhr: Reasons for Waiting...
Mittlerweile war die Zeit gekommen, die
„wenigen" Gäste aus der Umgebung hereinzubitten. Spaß beiseite,
insgesamt wurden ca. 280 Eintrittskarten verkauft - der überwiegende
Teil der Leute kam aus Kleve und Umgebung. Die Mischung war aber schon
recht witzig. Eltern kamen mit ihren Kindern, Großväter mit
ihren Enkeln - selbst einen Kinderwagen (!) habe ich irgendwo gesehen (wer
hat den später eigentlich mitgenommen...?). Bereits am Nachmittag
hatte Jürgen im Foyer einen PC mit Boxen aufgebaut, an dem er im Verlauf
des Abends den Besuchern sein neues Multimedia-Projekt vorführte.
Per „Mausklick" auf bestimmte Felder konnte man sich Informationen über
Tull anzeigen lassen sowie Ausschnitte aus Alben und Videos anhören
bzw. ansehen. Das Projekt dient der Einführung in die Programmierung
von Bildschirmoberflächen und soll ab Januar in Buchform & CD-Rom
erhältlich sein (laut Andreas habe ich das sogar halbwegs richtig
getroffen, obwohl ich von Computern jede Menge wenig verstehe....)
Andreas hatte sich in der Zwischenzeit
sein Jackett übergestülpt und begrüßte die Massen.
Zum Auftakt gab's eine 45minütige Videopräsentation der Gruppe
Gallahad. Die etwas dürftige Klangqualität ließ das wahre
Können der Folkrocker aus Dienslaken jedoch nur erahnen. Anschließend
gab es Jethro Tull Musik aus der (Audio-) Konserve, ergänzt um einige
Auszüge des Albums von Georg „Geoffrey" Keller. Alles in allem verliefen
die ersten zwei Stunden etwas zäh für alle Beteiligten. Meiner
Meinung nach wäre die Präsentation eines Tull-Videos gerade für
die nicht ganz so „harten" Fans von höherem Unterhaltungswert gewesen.
20.00 Uhr: In The Grip Of
Stronger Stuff...
Nach dem etwas langatmigen Auftakt sollte
die Party dann gegen acht so langsam in Schwung kommen. Den musikalischen
Auftakt bildete Dagmar Kleins Gruppe „Antiques With An M". Die Band trat
an diesem Abend jedoch aufgrund personeller Probleme nur in einer Minimalbesetzung
auf: mit Dagmar (vocals, piano, tin whistle), sowie Tobias Jung (bass,
accoustic guitar). Musik und Gesang weckten bei mir sofort Assoziationen
zu Künstlern wie Tori Amos, Kate Bush oder auch Toyah Wilcox. Vom
acapella-Stück „Of Gold" bis zum heftigen Schlußtitel „Red"
gab es immer wieder überraschende Stil- und Tempowechsel, mit sehr
viel Gefühl vorgetragen und dem richtigen Gespür für die
Balance zwischen Melancholie und Heiterkeit. Leider wirkte der Auftritt
der beiden trotz der musikalischen Klasse innerhalb dieses Events etwas
unglücklich. Im Saal ging es zu wie auf dem Bahnhof; Leute latschten
rein und raus, das Licht war an und ein konstantes Hintergrundgemurmel
machten einen ungestörten Musikgenuß nahezu unmöglich.
Nach dem rund 45minütigen Set kam
Andreas erneut auf die Bühne, um das Tull-Quiz zu beenden. Nachdem
bereits 15 Fragen schriftlich zu beantworten waren, galt es nun, 10 verschiedene
Nummern von Jethro Tull zu erkennen. Die Tatsache, daß die nur wenige
Sekunden dauernden Auszüge auch noch als Coverversionen von Jürgen
präsentiert wurden, führte selbst bei den hartgesottenen Fans
zu langen Gesichtern. Egal, Fragebogen ausfüllen und ab in die (dafür
vorgesehene) Tonne.
Gegen 21.30 Uhr kam es dann zur eigentlichen
Hauptattraktion des Abends. Jürgen Handke betrat die Bühne und
eröffnete sein zweiteiliges Set mit Auszügen aus dem Kultalbum
„A Passion Play". Die meisten von Euch dürften mittlerweile mit den
Interpretationen von Jürgen vertraut sein, sei es durch eines seiner
Tapes oder bereits durch einen Live-Auftritt. „Perfekte Computerklänge
verschmelzen mit den Live-Parts von Jürgen Handke zu einem homogenen
Gesamtbild, das zusätzlich noch optisch untermalt wird", so die vielversprechende
Werbebotschaft aus einem seiner Infobriefe. In der Tat ist Jürgens
Flötenspiel wirklich brillant und vom Original kaum zu unterscheiden.
Auch seine Stimme erinnert an Zeiten, in denen Ian Anderson manche Songs
noch leichter über die Lippen kamen als heute. Die vollständig
synthetisch produzierte „Band" klingt jedoch über längere Zeit
etwas blutleer. Spätestens hier wird deutlich, daß ein Mann
allein eine gesamte Gruppe kaum ersetzen kann. Seine stärksten Momente
hatte Jürgen immer in den Passagen, in denen er etwas stärker
vom Original abwich. Sehr gelungen war beispielsweise seine Anspielung
auf die vergangene Tull-Tour, indem er innerhalb des Stückes „We Used
To Know" eine Passage aus „Hotel California" eingebunden hat. Assistiert
wurde Jürgen auf der Bühne von Marco und Sven. Marco saß
mit auf der Bühne vor dem Computer und rief die einzelnen Songs ab;
zusätzlich gab er immer recht merkwürdige Handzeichen, was so
aussah wie „Drei Bier, zwei Korn..." In Wirklichkeit verständigte
er sich aber auf diese Weise mit Sven, der weit hinter der Bühne saß
(stand?/lag?) und im richtigen Moment für die „optische Untermalung"
in Form von Video-Einspielungen sorgte.
Nach einer knappen Stunde beendete Jürgen
den ersten Teil seines Sets. Anschließend wurde das Quiz aufgelöst
und die Gewinner wurden verkündet. Neben diverser anderer Preise gab
es ein „Catfish Rising"-Tuch von Dagmar und ein signiertes Audio-/Video-Set
von Jürgen zu gewinnen. Leider haben sich in der Pause einige der
örtlichen Besucher verkrümelt, so daß zum zweiten Teil
des Konzertes wohl nur noch maximal 200 „Gläubige" in der Halle waren.
Jürgen brachte dann von „Thick As A Brick" über „At Last, Forever"
bis zu „Aqualung" noch reichlich weitere Klassiker zu Gehör. Gegen
Ende des Konzerts kam dann auch das Publikum immer besser in Fahrt. Bereitgelegte
Wunderkerzen wurden entzündet und von der Saaldecke wurden hunderte
bunter Luftballons ins Publikum herabgelassen. Musikalischer Knalleffekt
war sicherlich die letzte Nummer „Nothing Is Easy", bei der die Atmosphäre
im Saal richtig an ein Tull-Konzert erinnerte. Nach einer Zugabe beendete
„Deutschlands Tull-Interpret Nr. 1" seinen Auftritt und der offizielle
Teil des Abends neigte sich langsam dem Ende entgegen.
Gegen Mitternacht kam es dann zum abschließenden
Höhepunkt - der Versteigerung. Nachdem die von Sergio Gruber und Harald
gestifteten Promos nur schwer bis gar nicht unter den „Hammer" kamen, ging
dann bei der Versteigerung der von Ian Anderson handsignierten Flöte
so richtig der Fuchs ab. Das Einstiegsgebot lag bei 200 DM, das dann aber
recht schnell in die Höhe getrieben wurde. Harald wollte eigentlich
mitbieten, hatte aber wohl „vergessen" (?), daß man dazu die Hand
heben muß. Sven zuckte so ca. bei 350 DM zum letzten Mal, bevor er
abwinkte und sinngemäß meinte „Die haben doch 'ne M...". Gegen
Ende konzentrierte sich das Duell dann auf zwei Bewerber, von denen BEGGAR'S
FARMER Michael Döpper (aus Wetter) für stolze 700 DM den Zuschlag
bekam. Insgesamt erbrachte die Veranstaltung eine Summe von 904 DM, die
in voller Höhe einer Abteilung des Krankenhauses gestiftet wurde.
Egon bedankte sich noch mal bei allen Beteiligten und beim Publikum für
das Gelingen der Veranstaltung, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß
anschließend die „3. Halbzeit" eingeläutet werde. Das Publikum
spendete zum Abschluß noch einmal reichlich Applaus, bevor sich viele
der regionalen Besucher dann auf den Heimweg machten. 0.30 Uhr - Overhang...
Der Saal leerte sich dann doch recht zügig.
Die Veranstalter begannen mit den Aufräumarbeiten und die „fliegenden
Händler" bauten ihre Verkaufsstände ab. Lediglich 25 bis 30 Leute
hielten die Verlängerung durch, verteilt auf zwei Gruppen. Eigentlich
war dies für mich der schönste Teil einer bis dahin schon gelungenen
Tull Party. Es wurde viel getrunken und noch mehr gelacht. Endlich hab'
ich dann auch Tina und Marco kennengelernt. Marco sorgte mit einigen pantomimischen
Darstellungen (z.B. ein völlig besoffener Ian Gillian in der Harald-Schmidt-Show...)
für allgemeines Amüsement. Ulla zeigte uns ein paar Bilder aus
ihrem privaten Tull-Fotoalbum und Harald erzählte uns von seinen merkwürdigen
Träumen. Neben der bereits angesprochenen Geiselbefreiung („Ich war
da in so einer riesigen Halle und plötzlich mußte ich meine
Knarre ziehen, um die Geiseln zu befreien...") ging es auch noch um Blondinen!
Diese sollten dann mit Anderson'schem Lachs belegt werden und anschließend
... - den Rest der Geschichte hab' ich leider vergessen (?). Marco schwafelte
noch was von seinen nicht vorhanden Geheimratsecken und wie alt er (26)
doch schon sei - womit er dann die nächsten Lacher auf seiner Seite
hatte. Sven und ich waren immer noch der Meinung, ein „Bingo"-Spiel hätte
für die örtlichen Besucher den Abend noch etwas aufgelockert.
Auch Werder's 3-0 über Bayern München vom Nachmittag wurde noch
gebührend gefeiert und irgendwann später diskutierten dann alle
darüber, welches Zimmer in der Nacht „zerlegt" werden sollte. Da ich
meines nicht sofort zur Verfügung stellte, kam Harald dann mit der
Retourkutsche „Du schreibst den Artikel ..." usw.. Als Kurt kurz vor vier
drauf und dran war, noch ein Zimmer und Getränke aufzutreiben, wurden
alle Beteiligten wegen Zeitschinderei von der Anstaltsleitung des Feldes
verwiesen - Feierabend! Jede Party hat irgendwann einmal ein Ende und die
meisten von uns waren dann wohl auch froh, daß kein Zimmer mehr gefunden
wurde (außer Kurt vielleicht...).
4.00 Uhr: Too Many Too...
Eigentlich war bis zum Frühstück
ja noch reichlich Zeit zum Pennen. Da mir meine Konfirmantenblase aber
einen dicken Strich durch diese Rechnung machte, waren es letztlich doch
nur knapp zweieinhalb Stunden (aber wer will das eigentlich wissen...?).
SONNTAG:
9.30 Uhr: A New Day Yesterday...
Mit einem schönen Frühstücksbuffet
für die auswärtigen Gäste neigte sich die Tull Party ihrem
endgültigen Ende engegen. Bei mir dauerte es rund eine Stunde, bis
zwei Aspirin, fünf Tassen Kaffe und mindestens ebenso viele Zigaretten
mich wieder halbwegs konversationsfähig gemacht hatten. Einigermaßen
fit, ging der Tull-Talk in die letzte Runde. Ulla klärte uns noch
mal über die neusten Infos aus der Gerüchteküche auf, bevor
die letzten von uns gegen 12.00 Uhr zur Heimreise „gebeten" wurden (sonst
würden wir da wahrscheinlich heute noch sitzen und labern...)
12.30 Uhr: Wond'ring Again...
Da war ich nun wieder auf der Autobahn
Richtung Göttingen und der Himmel begann erneut zu weinen. Auch das
Schädelbrummen wollte trotz zweier weiterer Aspirin nicht nachlassen.
Trotzdem hatte sich der Wochenendtrip in die „Wildnis" wirklich gelohnt.
Wie hat Harald es am Telefon mal formuliert: Das Schöne am „Tull-Fan-sein"
ist, daß man so viele nette Leute kennenlernt. Vor diesem Wochenende
kannte ich bereits einige von Euch, jetzt danach kenne ich noch einige
mehr und auch die rhetorische Frage vom Vortag nach meinem Sinneszustand
schien sich zu erübrigen ... in Höhe Dortmund lachte bereits
wieder die Sonne...