j-tull  dot com  - ein song-by-song review
(BTFLYCD 0001    total time:54:20 minutes )

aus 'Beggar's Farm News' Nr. 21

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Dot Com Special Page

Vier Jahre hat es gedauert. Immer wieder angekündigt, verschoben, auf Eis gelegt, angeblich fertig, dann neu im Studio und und und ...
Und jetzt ist es tatsächlich passiert. Das lange Hungern und Dürsten nach neuem Stoff hat tatsächlich ein Ende. 'Dot Com' ist da, vorab vom neuen Label ROADRUNNER zur Verfügung gestellt!
Die Erwartungen sind groß. Haben sich Ian Anderson, Martin Barre, Andy Giddings, Jonathan Noyce und Doane Perry zu einem 3-Sterne Restaurant aufgerafft, oder ist es doch nur ein McDonalds, zwar mit Drive-In, nur das übliche in gehobener Ausstattung.
Nun denn, schreiten wir zur Verkostung. Reich gedeckt ist der Tisch mit 14 neuen Songs und der erste Eindruck ist: dieses Album ist nicht so leicht zugänglich wie 'Roots To Branches', dafür stecken zuviele Zutaten in den Liedern, schmeckt es bei jedem Hören nach neuen musikalischen Gewürzen und raffinierten Ideen. Eine mögliche Charakterisierung wäre: 'Roots To Branches - The Hard Way', aber diese Schublade ist zu eng. 'It's a boy's album' hatte Ian Anderson in Anspielung auf die härtere Ausrichtung der Songs gesagt, aber auch das vermittelt einen falschen Eindruck von 'Dot Com'.
Widmen wir uns einfach 'mal den einzelnen Songs. Los geht es mit ...
1. 'Spiral' (3:50 min)
Einigen wahrscheinlich schon durch die letzte Tour bekannt, wo der Song immer einmal wieder in der Setlist auftauchte. Als Einstieg in das neue Album ein “Rocker“ wie aus dem I.A.-Bilderbuch. Gleichzeitig wartet 'Spiral' aber auch schon mit den wichtigsten Zutaten für die restliche Menüfolge auf 'Dot Com' auf: Kräftige Gitarrenschübe von Martin Barre, der sein Herz an eine “Hard’n’Heavy“ Gitarre verloren zu haben scheint, abgeschmeckt mit kräftig “orgelnden“ Keyboards, die in den 70ern nicht aktueller geklungen hätten. Ein guter Aperitif der einem den Mund wässrig macht! 
2. 'Dot Com' (4:25 min)
Das Titelstück und einer der absoluten persönlichen Favoriten! Hat ein bißchen was von Thomas Dolby oder David Bowie Anfang/Mitte der 80er Jahre. Mit anderen Worten: eigentlich völlig untypisch für Tull und doch auch wieder nicht. Keyboardlastig, ohne kalt zu wirken. Ein ruhiges Stück, bei dem Anderson seine Vorliebe für indische Musik mit einem guten Pop-Song verbindet. Und das Lied mit Gastsängerin Najma Akhtar. Die Frau hat eine tolle Stimme und ist bei dem Lied das berühmte Tüpfelchen auf dem i. Ian Anderson legt seinen Gesang tiefer und klingt einfach gut. Absolut radiotauglich oder zumindest den Versuch wert, bei den Radiostationen zu landen Ach ja, der Refrain erinnert rnich frappierend an...genau, ich kenne es, weiß aber nicnt woher. Über dem gesamten Lied liegt so eine angenehm geheimnisvolle Atrnosphäre... 
3. 'awol' (5:19 min)
Wie bei vielen mehrgängigen Menüs, gelingt den Köchen nicht alles gleich gut. 'Awol' ist, auch nach mehrmaligen Hören, das schwächste Sück auf der CD. Alle Tull bekannten Ingredienzen - Break, Tempo-Wechsel, etc - aber irgendwie bleibt das Stück fade und ohne den besonderen Kick. Wurde übrigens auch ab und an auf der Tour gespielt. 'Awol' heißt übrigens (wenn mein freundlicher englischer Bekannter mich nicht kräftig ver ar...hat) “Absent without Leave“, was so viel wie "unentschuldigtes Fehlen“ bedeutet. Hier hatte sich wohl die Inspiration unentschuldigt verflüchtigt. Läßt genug Platz für mehr... 
4. 'Nothin @ All'(0:56 min) (by Andrew Giddings)
Piano-Vorspiel zu... 
5. 'Wicked Windows' (4:40 min)
Das nächste Highlight auf 'Dot Com'. Unheimlich beeindruckend und druckvoll auf der Tour und genauso überzeugend auf der CD. Hat das Zeug, zu einem Tull-Konzert-Klassiker zu werden. Melodiebögen, die bei anderen Bands für mindestens drei Songs herhalten müssen. Bei jedem Hören werdet ihr neue Feinheiten in den Arrangements entdecken - versprochen. Jawoll, mehr davon... 
6. 'Hunt By Numbers' (4:00 min)
Martin Barre und Andrew Giddings legen los, als müßten sie sich bei Deep Purple um die Nachfolge von Jon Lord und Steve Morse bewerben. 70er Jahre Hard-Rock Riffs und Harnmond-Orgel Einwürfe. Nach 'Spiral' der zweite richtige 'Rocker'. Üppig und Kalorienhaltig....Zeit für... 
7. 'Hot Mango Flush' (3:49 min) (by Martin Barre)
Hätte sich auf auf der 'Roots To Branches' nicht schlecht gemacht. Anderson bevorzugt wieder einrnal den Sprechgesang à la 'Wounded, Old and Treacherous'. Zum ersten Mal gesellt sich zur -diesmal “harmlosen"- E- eine akustische Gitarre. Luftig und locker und nicht so kompakt, schwer und gehaltvoll arrangiert wie die bisherigen Songs auf 'Dot Com'. Ein Zwischengang. 
8. 'El Nino' (4:40 min)
Querflöte und akustische Gitarre liefern Vor- und Zwischenspiele, dann gehört das Feld (fast) ganz Andy Giddings´ Zauberkasten. Ein Teppich aus Keyboardsounds trägt die Strophe bis zum ultimativen Song-Höhepunkt: einem fantastischen Heavy-Metall Riff von Meister Barre im Refrain zu 'El Nino'. Dieser Song schleicht sich fast heran, um sich dann für immer und ewig in den Gehörgängen zu verankern, wenn da nicht noch ein paar andere Songs auf 'Dot Com' wären, die permanent das gleiche versuchen würden... Ohne Frage das nächste Highlight des neuen Tull-Menüs. 
9. 'Black Mamba' (5:00 min)
Erinnert aufgrund des stampfenden Rhythmusgerüstes an die Elefanten-Patrouille aus dem Dschungle-Buch. Wem das nichts sagt: anderen fiel dazu ein Lied 'Let 'Em In' von Paul McCartney ein, der genau so einen Rhythmus auch schon einmal verwendet hat (wer ist Paul McCartney ??). Egal, hat auf jeden Fall was. 
10. 'Mango Surprise' (1:14 min)
Genau, laßt Euch überraschen... 
11. 'Bends Like A Willow' (4:53 min)
Warum fallen mir spontan zu diesem Song nur keine Kommentare ein? Er ist einfach irgendwie noch einmal ein Destillat all dessen, was sich bereits in den anderen Liedern gefunden hat. Solide, aber kein Überflieger. Hat teilweise sogar "Pop"-Anflüge, und eine gewisse Radiotauglichkeit ist ihm auch nicht abzusprechen. Für mich leitet 'Bends Like A Willow' über zu einem fulminanten Finale, an dessen Beginn... 
12. 'Far Alaska' (4:06 min)
steht: Tull der 70er Jahre (Anfang bis Mitte) treffen auf Tull der 90er Jahre (eher Mitte) unter elegantem überspringen der frühen 80er. Damit dürfte doch wohl alles gesagt sein, oder? Ausgiebig Querflöte, ein tolles Solo von Martin Barre, schönes Nebeneinander von akustischen und elektrischen Instrumenten, Einflüße von Rock über Folk bis zur Klassik ... Tull-Fan was willst Du mehr? Vielleicht... 
13. 'The Dog-ear Years' (3:34 min)
Mit diesem Stück beginnt soetwas wie ein neuer Abschnitt auf 'Dot Com'. Sowohl 'The Dog-ear Years' als auch das folgende 'A Gift Of Roses' hätten, nach allem was bisher vorn Ian Anderson Solo-Album bekannt ist, auch dort nicht Fehl am Platze gewirkt. Liebste Erinnerungen an die akustisch dominierten Songs aus den 70er Jahren werden wach. Der Weg ist bestellt zum Abschluß und einem weiteren der absoluten persönlichen Favoriten... 
14. 'A Gift Of Roses' (3:54 min)
Akustische Gitarren, eine Mandoline (wenn mich mein Gehör nicht täuscht), Andy Giddings am "Instrument of Hell", dem Akkordeon, eine vom Folk getränkte Melodie (auch wenn Martin Barre das sicherlich nicht so gerne hört) und zum Rhythmus bewegen kann man sich auch noch. Schlicht und einfach ein tolles Stück! Genau der richtig Digestif!
So ich bin jetzt jedenfalls Pappsatt...'Dot Com' sollte genug Futter bieten, um sich die langen Abende bis zur nächsten Tour (Ende Oktober/Anfang November) angenehm vertreiben zu können. Ich gehe jetzt jedenfalls erst 'mal einen Kaffee trinken oder vielleicht lieber einen Espresso und einen Grappa.... 
weltweite VÖ: 23. August 1999