'Passing Open Windows'
Oder was ein "Tribute To Queen" Konzert für einen Jethro Tull - Fan interessant macht ! 
Ein Konzertbericht von Michael Nauber

Dieser Trip nach London war als Familienkurzurlaub schon seit mehreren Wochen geplant und gebucht. Kurz vor dem Beginn der Reise flatterte mir das Maiheft der Schweitzer "Tull News" ins Haus. Gerade noch rechtzeitig, um über ein Ereignis informiert zu werden, das mein Herz als Tull-Fan höher schlagen ließ. Am 23. Mai sollte in der Londoner Royal Festival Hall ein Konzert unter der Leitung von David Palmer stattfinden. Gemeinsam mit dem Royal Philharmonic Concert Orchestra sollte ein "Symphonic Tribute To Queen" aufgeführt werden. Das als special guest Mr. Ian Anderson angekündigt war, erweckte natürlich sofort meine heftige Neugierde. Es ließ sich jedoch vermuten, daß eventuell auch ein bißchen "Classic Jethro Tull" zur Aufführung gelangen würde. Dankenswerterweise war auch eine Telefonnummer für die Kartenbestellung angegeben. So nutzte ich das sofort für eine Ticketreservierung. No problem! Da ich Euch nicht mit meinen sonstigen Reiseerlebnissen, die im übrigen durchweg positiv waren, langweilen möchte, beginne ich meinen Bericht am späten Freitagnachmittag. Wie Insider immer wieder berichten, ist es gut, den Ort des Geschehens frühzeitig aufzusuchen. Also war ich gemeinsam mit meiner Frau und meiner Tochter bereits gegen 17 Uhr an der Festival Hall angekommen - ein in seiner Anlage etwas verwirrender Komplex. Ich muß gestehen, daß ich schon etwas beunruhigt war, weil ich in den vergangenen Tagen in der Stadt vergeblich nach einer entsprechenden Ankündigung für dieses Konzert Ausschau gehalten hatte. Jetzt war ich froh, das erste Plakat vor der Halle zu entdecken. Im Foyer saßen und standen etwa 80 Leute, die einer experimentellen Jazzsession lauschten. Die erste Dame, die ich nach dem D. P. Konzert fragte, zuckte nur verständnislos die Achseln - ich denke, es lag an meinem schlechten Englisch (?) - aber dann gelang es uns doch, das Ticketoffice zu finden. Das man von meiner telefonischen Reservierung nichts wußte, irritierte mich zwar zunächst ein wenig, aber da der freundliche Herr sofort hilfreich Karten für die dritte Reihe anbot, griff ich zu und war happy über die Aussicht auf den zu erwartenden Hörgenuß. In der Hoffnung auf ein Autogramm der beiden Stars des Abends postierten wir uns gegen 18.30 Uhr am Bühneneingang. Es war zwar empfindlich kühl aber davon merkte ich bei meiner Aufregung nicht viel. Leider hatten die Leute, die kamen und gingen, keine Ähnlichkeit mit den von mir erwarteten Personen. Nach einer Stunde tauchten dann doch bekannte Gesichter auf. Zuerst entdeckte ich Gerry the Zobstick Spiers, den Organisator des Fantreffens in Gravesend. Kurz danach kamen David Rees und Martin Webb. Sie verschwanden sogleich im Bühneneingang und ich mußte einmal mehr feststellen, daß gute Beziehungen nur dem Schaden, der sie nicht hat. Da sich weder Mr. Anderson noch Mr. Palmer sehen ließen, gaben wir unseren Beobachtungsposten auf und wollten in den Konzertsaal. Davor war ein Stand für reservierte Karten aufgebaut und eine gewisse Ahnung beschlich mich. Sie wurde prompt bestätigt, als ich nach Tickets für "Nauber" fragte. Jetzt hatte ich 6 Eintrittskarten für die dritte Reihe - na toll !! Nach diesem durchwachsenen Anfang konnte es im weiteren Verlauf eigentlich nur besser werden - man ist ja Optimist ! ("Danke!" an alle, die bis hier durchgehalten haben. Ich hoffe, daß der Konzertbericht Euer Stehvermögen belohnt.)

Als die königlichen Symphoniker gegen 20.00 Uhr auf ihren Stühlen Platz nahmen, war das etwa 1200 Personen fassende Auditorium zu drei Vierteln gefüllt. Nun betrat Mr. David Palmer die Bühne, ordnete etwas umständlich seine Notenblätter und dann ging es los - aber richtig ! Ein Medley der Queenklassiker: David verständigte sich locker aber bestimmt mit den Musikern, die sonst wohl eher ernstere Kompositionen spielen und das Ergebnis war beeindruckend gut. Nach diesem gelungenen Auftakt begrüßte Mr. Palmer wortreich und witzig das Publikum. Erneut bedauerte ich, der englischen Sprache nicht besser mächtig zu sein - sorry ! Der englische Humor seiner Rede erschloß sich mehr den einheimischen Zuhörern. Ich mußte über weite Strecken passe. Glücklicherweise braucht man zum Verständnis der Musik keine Fremdsprachenkenntnisse. Nachdem David seine Brille gefunden und dem Publikum erklärt hatte, daß es ohne dieses Teil nicht mehr geht (wir werden eben alle älter) begann das Orchester mit "Bicycle Race". Es wurde schwungvoll vorgetragen und am Ende fehlte auch die Fahrradklingel nicht, was beim Anblick der eher gesetzten Damen und Herren des Royal Philharmonic Orchestra ganz spaßig wirkte. David erzählte dann, daß beim nächsten Stück Inspirationen der mittelalterlichen Musik Englands und Italiens eingeflossen seien, einer Zeit also "die kurz vor seiner Geburt war". "Somebody To Love" wurde sehr getragen gespielt und hatte einen wunderschönen, von Blechbläsern vorgetragenen, klassischen Mittelteil, der mir sehr gut gefiel. Beim nächsten song, berichtete david, würde er immer an Beethoven erinnert und bei einem Gespräch mit Freddy Mercury fragte er ihn: "Why don't we play it like this?" Als dann "Killerqueen" begann, riß es mich das erste mal fast vom Hocker - das ging ab wie bei einer Heavy Metal Band - grandios ! Nun wurde es wieder etwas ruhiger. Bei "Who Wants To Live Forever" wurde die Gesangsstimme durch ein Sopransaxophon ersetzt, was für meine Ohren doch sehr gewöhnungsbedürftig war - aber sonst ist dieses tolle Lied natürlich bei einem großen Orchester bestens aufgehoben. Ohne lange Ansage bekamen wir dann bei "Now I'm Here" die ganze Power des gesamten Ensembles unterstützt durch Schlagzeug, Baß- und Leadgitarre von Davids eigenen Musikern zu spüren. Das war einfach genial und der Meister lobte im Anschluß besonders die Violinen, welche den Gitarrenpart des Originals zu übernehmen hatten und sich dabei hervorragend bewährten. Beim anschließenden "Innuendo", meinem Lieblingsstück von Queen, kamen etwas gemischte Empfindungen auf. Die langsamen Passagen klangen mit den Blechblasinstrumenten ein bißchen dünn und ein Harfensolo fand ich etwas kitschig, aber die vom gesamten Orchester gespielten rockigen abschnitte waren dagegen echt Spitze. Nach "Love of My Life", das wieder sehr ruhig klang und überwiegend von einem Altsaxophon gespielt wurde, kam dann bei "We Are The Champions" so richtig Stimmung auf. Unterstützt von 3 Backgroundsängerinnen sangen David und der ganze Saal lauthals mit. Das ist bei "seriösen" Konzerten wohl nur selten zu erleben, war aber absolut klasse. Mit der Ankündigung einer pause, für die vom Dirigenten empfohlen wurde, ein Bier zu trinken, zogen sich die Akteure erst einmal zurück. Nach 20 Minuten erschienen die Musiker wieder auf dem Podium und ich war mächtig gespannt auf den zweiten Teil des Abends. Er begann mit "Roundabout" von Yes und bot ein herrliches Gitarrensolo von Keith Harry. Dann setzte sich David an sein E-Piano, philosophierte über Gott und die Welt und begann das bekannte Motiv der Lautensuite von Bach zu intonieren. Alle ahnen, was jetzt kam : Mr. Anderson himself betrat Flöte spielend die Bühne, vom Publikum stürmisch begrüßt. Wir mußten feststellen, daß die meisten Leute wohl doch wegen ihm gekommen waren. Der Klavierpart war sofort in das "Bouree" übergegangen und Ian und David legten los, daß es einem fast den Atem nahm. Anderson war "very well" in Form und stimmte gleich im Anschluß "Thick As A Brick" an. Ein Raunen ging durch den Saal und als das Stück nach einer viertel Stunde zu Ende ging, brüllten alle, wie bei den Tull Konzerten, das letzte Wort des Opus mit. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich meinen Fotoapparat brav unter dem Sitz verborgen, aber nun gab es kein halten mehr, zumal andere Fans im Auditorium die gleiche Idee hatten. Neben mir saß auf einmal Martin Webb und machte seine Aufnahmen. Das wurde richtig stressig : die Musik genießen, dem Meister bei der Arbeit zuschauen, Notizen für den Artikel machen und fotografieren. Aber irgendwie klappte es und so konnten wir alle dann einer tollen Fassung von "Elegy" lauschen. Wer die Aufnahme aus Gravesend von der letzten Convention kennt, weiß was ich meine und hier kam noch das Royal Philharmonic Orchesttra hinzu - es war einfach riesig. Mit "Too Old To Rock'n Roll..." folgte dann ein Song, der eigentlich nicht zu meinen absoluten Favoriten zählt, aber in der hier dargebotenen Fassung, mit Backgroundvocals und im Arrangement von David hörte sich das ganz neu an. Leider wurden bei dem Auftritt aber auch wieder die Stimmprobleme von Ian deutlich. Ich frage mich, wie er die bevorstehende Tournee bewältigen wird? Das reden fiel ihm sichtlich leichter und so machte er Witze über die frühen Auftritte von Jethro Tull in "Tops Of The Pop". "Living In The Past" bot noch einmal ein akustisches Bonbon. Es gab ein tolles Flötenduett von Ian und David. Ich wußte bis dahin gar nicht, daß Mr. Palmer so gut Querflöte spielt. Nach kurzem "shake hands" verließ Ian dann für uns viel zu früh die Bühne. Sofort übernahm David wieder die Initiative, die er zwischenzeitlich Mr. Anderson überlassen hatte. Ob bewußt oder nicht, ein Beleg für die eindrucksvolle Präsenz eines Ian Anderson auf der Bühne mag sein, daß eine so unvoreingenommene Person wie meine Tochter (12) während des Auftritts von Ian keine andere Person auf der Bühne wahrgenommen hat. Selbst eine Persönlichkeit wie David Palmer war vergessen. Sie hatte dessen Flötenspiel auf der Querflöte gar nicht registriert. Es wurden noch 2 Stücke von Pink Floyd gespielt . "Another Brick In The Wall2 und "Eclipse". Letzteres hat mir auch wieder wunderbar gefallen, weil die Stimme Davids während des Songs zunehmend fester wurde und der Titel ständig an Drive gewann, natürlich durch die Unterstützung des Orchesters und der Rhythmusgruppe - wirklich schön. Abschließend wurden die Solisten namentlich vorgestellt. Mit einem Augenzwinkern und bezugnehmend auf das Plakat und den Flyer meinte er, jeder wisse jetzt wer er sei, nämlich Queen David Palmer. Eigentlich war das Konzert damit zu Ende, aber bei der Begeisterung des Publikums war eine Zugabe unumgänglich. Wir bekamen noch einmal "Elegy" zu hören, aber diesmal in einer völlig anderen Fassung - ohne Flöte und von Palmer gesungen. Sehr ungewohnt aber wirklich hörenswert. "And now a bloody old Jethro Tull song", verkündete David dann, spielte ein Pianointro und Ian erschien noch einmal zu "Locomotive Breath"- einem Oldie, auf den man auch in dieser Aufführung offensichtlich nicht verzichten wollte oder konnte. Egal - es war perfekt gespielt !

Insgesamt war es ein absolut tolles Konzert und ich bin froh, daß wir dieses erleben durften. Mir ist klar, daß die Reflexion eines solchen Abends sehr subjektiv gefärbt ist. Wenn ich irgendjemandes Gefühl verletzt habe - "Excuse me!", aber diesen Abend hätte ich jedem Tullie gewünscht !!